Archiv Januar 2021


gesammelte Beiträge aus Corona-Zeiten 2021:


Neujahr
2. Sonntag nach Weihnachten
Epiphanias
1. Sonntag nach Epiphanias
2. Sonntag nach Epiphanias
3. Sonntag nach Epiphanias
Letzter Sonntag nach Epiphanias


Neujahr


Die folgende Predigt zum Neujahrstag 2021 stammt von Pfarrer Walter Schnaiter, Mitarbeiter des Personalreferates in Karlsruhe. Aufgrund der Corona-Situation konnte sie nicht gehalten werden. Pfarrer Schnaiter wünscht allen Lesern Gesundheit und Gottes Segen im neuen Jahr 2021!
PREDIGT
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

TEXTLESUNG
Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu aus
Apostelgeschichte Kapitel 4,8-12:

Petrus, voll des Heiligen Geistes, sprach:
Ihr Oberen des Volkes und ihr Ältesten!
Wenn wir heute wegen der Wohltat
an dem kranken Menschen verhört werden,
wodurch er gesund geworden ist,
so sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kundgetan:
Im Namen Jesu Christi von Nazareth,
den ihr gekreuzigt habt,
den Gott von den Toten auferweckt hat;
durch ihn steht dieser hier gesund vor euch.
Das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen,
der zum Eckstein geworden ist.
Und in keinem andern ist das Heil,
auch ist kein andrer Name unter dem Himmel
den Menschen gegeben,
durch den wir sollen selig werden.

O Du Glanz der Herrlichkeit,
Licht vom Licht, aus Gott geboren,
mach uns allesamt bereit,
öffne Herzen, Mund und Ohren;
unser Bitten, Flehn und Singen
lass, Herr Jesu, wohl gelingen (EG 161,3). Amen.

Liebe Gemeinde in Diedelsheim!
Martin Luther hat die Auffassung vertreten, dass das neue Jahr nicht mit dem Neujahrstag beginnt, sondern mit Weihnachten. Deshalb konnte er in dem Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ dichten:

„Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron,
der uns schenkt seinen ein ‘gen Sohn.
Des freuet sich der Engel Schar
und singet uns solch neues Jahr“ (EG 24,15).

Das hat zur Folge, dass der Neujahrstag von einem weltlichen Feiertag zu einem Christusfest wird, dem zweiten von fünf, dem Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu.

Wenn wir den Zusammenhang der Beschneidung mit der Taufe aus den Augen verlieren, werden wir auch nicht mehr verstehen, warum es für die Kirche noch nie ein Problem war Kinder christlicher Eltern zu taufen. Mit der Beschneidung war im Judentum auch die Namensgebung verbunden. Hier im Evangelium erfahren wir durch den Engel, dass der Retter und Heiland der Welt den Namen Jesus erhalten sollte.

Dieser Fest- und Gedenktag wird bis heute als erster Feiertag im neuen Jahr nach der Ordnung des Kirchenjahres begangen.

Das neue Jahr mit dem Gedenken an unseren Herrn Jesus Christus zu beginnen, der nach jüdischer Ordnung nach acht Tagen beschnitten worden ist und den Namen „Jesus“ erhalten hat, ist eine gute alte christliche Tradition:

“Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen“. (Lukas 1,31) – So der Engel an Maria.

„Christus“ heißt Messias und so heißt auch „Jesus“, Retter, Heiland der Welt – der gleiche Name wie „Josua“ im Hebräischen. – Was liegt uns am Anfang des neuen Jahres 2021 anno Domini (siehe DUDEN: im Jahre des Herrn, d.h. nach Christi Geburt) näher, als auf die Rettung oder das Heil zu warten, aus Krankheit, Vereinsamung und anderen Notlagen?

Gerade kurz vor Weihnachten bekam ich einen Weihnachtsgruß aus Afrika, wo ein Pfarrerehepaar aus Baden in Tabora in Westtansania eine Klinik für natürliche Medizin eröffnet hat. Da, wo unsere Touristenströme nicht hinkommen, ist Corona noch kaum wahrzunehmen. Etwa 60.000 Tansanier sterben dort jährlich an den Folgen einer Malaria-Erkrankung und etwa 4,7% der erwachsenen Einwohner sind mit dem HIV-Virus infiziert.

Von „Heil“ in der Bedeutung Gesundheit, Wohlergehen, Wohlfahrt, Wohlbefinden, Glück, Befreiung und Genesung von Krankheit haben auch manche Heilkräuter ihren Namen wenn sie als „Heil aller Schäden“ (Kreuzwurz, Schafgarbe) oder das „Heil der Welt“ (Nelkenkraut) bezeichnet wurden.
σωτηρ, Retter oder Heiland waren im Altertum diejenigen Herrscher, die Frieden und Ordnung sowie die Geltung des Gesetzes im Land wiederhergestellt haben, so etwa Kaiser Augustus, von dem die Weihnachtsgeschichte bei Lukas berichtet. (Lukas 2,1) Schon vorher, etwa bei Ptolemäus I Soter, waren mit dieser Bezeichnung „Retter“ oder „Heiland“ göttliche Ehrenbezeugungen verbunden. Jeder Jude oder jeder bekennende Christ kam früher oder später mit diesem Herrscherkult in Konflikt, da es für ihn nur einen Retter, Herrn und Heiland der Welt gab: Jesus Christus!
Und so hatte sich Petrus in seiner Rede darüber zu verantworten, in wessen Namen dem Kranken Heilung widerfahren ist:

“… wenn wir heute wegen der Wohltat an einem kranken Menschen verhört werden, durch wen diesem geholfen worden sei, so sei es euch allen und dem ganzen Volk Israel bekannt, dass im Namen Jesu, des Christus, des Nazareners, den ihr gekreuzigt habt, den Gott aus den Toten auferweckt hat, in ihm dieser gesund vor euch steht. Dieser ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, verachtet wurde, der zum Eckstein wurde. Und die Errettung geschieht durch keinen anderen. Denn es gibt auch keinen anderen Namen unter dem Himmel, der den Menschen gegeben wäre, durch den wir gerettet werden sollten.“ (Übersetzung A. Schlatter)

Ärgerlich und zugleich tröstlich ist diese Rede des Petrus an die Obersten und Ältesten des Volkes Israel! Ein Absolutheitsanspruch, den Petrus hier formuliert! Losgelöst von allen Heils- und politischen Heilsvorstellungen seiner Zeit sagt er:
„Denn es gibt auch keinen anderen Namen unter dem Himmel, der den Menschen gegeben wäre, durch den wir gerettet werden sollten.“
Diese Aussage müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen! – Ich denke, für den Menschen, der durch die Apostel, Petrus und Johannes geheilt worden war, war diese Frage, wem er seine Heilung zu verdanken hatte, nicht egal: Er ist geheilt worden und das war für ihn Fakt! Manch ein Corona-Leugner kommt zur Vernunft, wenn ihm nicht nur aus seiner Verblendung sondern auch in seiner lebensbedrohenden Erkrankung geholfen werden kann und er damit ein neues Leben beginnen kann.

So ist es mit der Sündenkrankheit möchte ich sagen! Die Sündenkrankheit ist das Leben in einer Illusion, eine Fehlorientierung in welcher der Mensch wie Martin Luther unter Anspielung auf Jes 2,9 (-22) sagt – „ so sehr in sich verkrümmt [hominem …incurvatum in se] (ist), „ dass er nicht nur die leiblichen, sondern auch die geistlichen Güter auf sich verdreht und sich in allem sucht“. (Bernd Oberdörfer: Der suggestive Trug der Sünde). Indem wir uns selber suchen und uns nur um uns selber drehen, sehen wir nicht mehr denjenigen, der uns die Hand entgegenstreckt im Strudel, der uns immer tiefer nach unten zieht.
Einer der größten Philosophen unserer Zeit, von dem viele andere bis in unsere Tage gelernt haben, ist Soeren Kierkegaard, von dem die tiefgründige Schrift stammt: „Die Krankheit zum Tode“. (Sören Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode) – Nicht nur hier, sondern auch in Entweder / Oder (Sören Kierkegaard: Entweder / Oder Erster Teil), wird er nicht müde, den Zwang zur Entscheidung zu betonen, angesichts einer grenzenlosen Gleichgültigkeit, die er unter seinen Zeitgenossen sieht: Wir stehen vor der Wahl, unser Leben zu gewinnen oder unseren Glauben zu verleugnen, gemäß den Worten des Petrus:
„Denn es gibt auch keinen anderen Namen unter dem Himmel, der den Menschen gegeben wäre, durch den wir gerettet werden sollten.“ (Apg. 4,12).

Diese absolute Glaubensaussage bringt uns in einen Konflikt mit der Idee der Gleichheit der Religionen wie sie Gotthold Ephraim Lessing in seinem Werk Nathan der Weise mit dem Gleichnis von den drei Ringen als Schlüsseltext der Aufklärung verfasst hat.

In der Vorbereitungshilfe zu dem Text, der Teil unserer Perikopen Ordnung ist, habe ich eine kleine Geschichte gefunden, die als Einspruch gegen die Nivellierung der Unterschiede im Bereich der Religionen verstanden werden kann:

Ausgehend vom Grundproblem, der „Krankheit zum Tode“, der Sünde, gebrauchte ein bekennender Christ einmal folgendes Gleichnis:

„Ich war durch meine Sünden in eine tiefe Grube mit schlammigem Boden gefallen. Da kam Konfuzius, unser großer Sittenlehrer, sah mich drunten liegen und sprach zu mir: „Armer Mann, du tust mir leid! Wie konntest Du nur so töricht sein und in dieses Loch fallen? Bist du einmal glücklich wieder draußen, so nimm dich in Acht, dass dir nicht wieder etwas Ähnliches zustößt!“

Daraufhin kam Buddha und rief zu mir: „Könntest Du Dich nur zur Hälfte heraufarbeiten, so wollte ich dir gerne vollends heraushelfen.“ Aber ich vermochte ja gar nichts.

Endlich kam Jesus, stieg zu mir in die Grube hinunter und hob mich mit starkem Arm heraus. Dann sprach er zu mir: “Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!“ (M. Haug: Er ist unser Leben).

Nicht Moral und hohe Sittenlehre, nicht eigene Anstrengung hilft uns aus dem Sumpf, sondern die rettende Hand unseres Heilandes und Erlösers Jesus Christus hat diesem Christ geholfen!

Der heutige Christus-Tag, erinnert uns an den Bund, den Gott mit uns in der Taufe geschlossen hat und dem es als Vorsatz aller Vorsätze im Blick das neue Jahr zu erneuern gilt, so wie es Johann Jakob Rambach in seinem Tauflied gedichtet hat:

„Ich gebe dir, mein Gott aufs Neue /Leib Seel und Herz zum Ofer hin, / erwecke mich zu neuer Treue / und nimm Besitz von meinem Sinn. / Es sei in mir kein Tropfen Blut, / der nicht Herr, deinen Willen tut.“ (EG 200,6).
Darauf zielt die Bedeutung des heutigen Tages der Beschneidung und Namensgebung Jesu, in diesen Wunsch oder diese Bitte einzustimmen und damit gut gerüstet in das neue Jahr 2021 gehen zu können! Amen.

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2. So. nach Weihnachten


(Die Predigt wurde von Pfarrer Rolf Weiß zur Verfügung gestellt.)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Trilogie dritter Teil steht heute auf dem Programm, liebe Gemeinde!
Lesen wir aus dem Lukasevangelium im 2. Kapitel die Verse 41-52

Sie erinnern sich?! An Heiligabend wird Jesu Geburt grandios in Szene gesetzt: Familie Zimmermann muss zwar zur Geburt ihres Stammhalters in Bethlehem mit einem Stall vorlieb nehmen. Dafür sind Legion von Engeln mit von der Partie; Hirten und vermutlich auch andere Menschen kommen als unerwartete Gäste. Im zweiten Teil haben wir vergangenen Sonntag von der religiösen Initiation erfahren, als die Familie zum ersten Mal mit ihrem Kind den Tempel in Jerusalem aufsuchte. Simeon und Hanna feierten mit der Familie sozusagen ein zweites Weihnachtsfest.

Es folgt nun die dritte Episode, bevor Jesus erwachsen wird. Mittlerweile sind –ruck zuck- ein paar Jahre vergangen. Der Junge ist schon fast in der Pubertät, nicht ganz so alt wie unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden.

Da tritt Jesus im Lukasevangelium zum ersten Mal als Handelnder in Erscheinung. Er steht als 12-Jähriger im Mittelpunkt der Erzählung. Zusammen mit seinen Eltern erfüllt er die religiöse Pflicht, zum Tempel nach Jerusalem zu reisen. Anders als andere Pilger bleibt er aber nach dem Ende der Passahfeierlichkeiten in der Stadt zurück. Ihn zieht es dorthin, wo die Tradition seiner Religion mit Händen zu greifen ist. Im Tempel finden sich die Gelehrten, die sich mit den Schriften und Überlieferungen des jüdischen Volkes auskennen.

Jesus fragt und hört. Er macht sich in intensiver Weise mit den Überlieferungen der Väter bekannt. Er geht regelrecht auf in jüdischem Leben und jüdischem Glauben. Die Welt um ihn herum, seine Familie, die Heimreise, alles gerät in den Hintergrund angesichts des großen Zieles, vorbereitet zu sein auf das, was auf ihn zukommt. Er scheint die Welt um sich herum einfach zu vergessen – und bleibt im Tempel, im Gespräch mit den Gelehrten seines Volkes.

Natürlich kann seine Familie mit seinem Fehlen nicht so gelassen umgehen wie Jesus selbst. Eine Tagesreise sind sie schon von Jerusalem entfernt, als sie merken, dass ihr Sohn nicht da ist. Das ist natürlich zunächst verwunderlich. Eigentlich lässt man seine Kinder beim Besuch in der Großstadt ja nicht so ohne weiteres allein. Zumindest hätte ich gedacht, dass Familie Zimmermann ihr Quartier bei Tante Gittel gemeinsam verlassen hätte. Aber offensichtlich war es bei solchen Pilgerfesten nicht ungewöhnlich, dass ganze Dörfer miteinander zum Gemeindeausflug losgezogen sind. Und da konnte man sich darauf verlassen, dass die Nachbarn und Verwandten auch auf die eigenen Kinder aufpassten. So klein war er ja schließlich auch nicht mehr.

Irgendwann muss es ihnen aber schon komisch vorgekommen sein, den Zimmermanns, dass sie ihren Jungen nirgends entdecken konnten. Ich stelle mir vor, wie sie ihn suchen. Erst ärgerlich, zunehmend aber voller Angst fragen sie Freunde und Verwandte, ob und wann sie Jesus gesehen haben. Schließlich kehren sie zurück nach Jerusalem. Auch dort fragen sie nach Jesus. Und schließlich finden sie ihn im Tempel.

„Warum hast du uns das angetan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht“, fragt seine Mutter. Man hört deutlich den vorwurfsvollen Unterton. Jesu Antwort macht die Situation nicht besser. Sie klingt richtig patzig: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr denn nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ An dieser Stelle bricht das Gespräch ab.

Ob die Eltern verstehen, was sich dort im Tempel ereignet hat, was angedeutet wird durch dieses übergroße Interesse am Glauben? Ob sie ahnen, was wir wissen: dass Jesus nicht nur ihr Kind ist? Ob sie sich gewundert haben, dass das Kind einfacher Handwerker so ein großes Interesse an intellektuellen Fragen entwickelt? Ob sie sich wirklich mit so einer Antwort haben abfertigen lassen? Ich wäre als Vater sicher ärgerlich gewesen – und nach der Freude, ihn wieder gefunden zu haben, hätte es schon auch noch eine deutliche Ansage gegeben, dass so etwas nicht wieder zu geschehen hat.

Der biblische Text ist mit all dem merkwürdig sparsam. Am Ende dieser Geschichte ordnet sich Jesus wieder ein. Er kehrt als gehorsamer Sohn mit seinen Eltern nach Nazaret zurück. Das kurze Aufbäumen ist zunächst einmal vorbei. Bis zur Taufe durch Johannes ist Jesus wieder der Sohn von Josef und Maria Zimmermann, ein normaler Jugendlicher.

Ich frage mich, warum Lukas als einziger Evangelist diese Geschichte in sein Evangelium aufgenommen hat. Ich denke, Lukas will sagen: Jesus ist nicht nur das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint. Er hat eine Aufgabe, die ihn hier zum ersten, aber wie wir wissen nicht zum letzten Mal, in Konflikt mit den Erwartungen seiner Umwelt bringt. An dieser Stelle trifft es zunächst seine Familie; die Menschen, die ihm wohl in diesem Lebensalter am nächsten stehen.
Im Laufe seines Lebens werden sich andere an seiner verborgenen Seite, die immer wieder zutage tritt, reiben: Seine Mitmenschen bekommen es nicht nur mit dem Sohn von Maria und Josef Zimmermann zu tun, sondern auch und zuerst mit dem Gottessohn. Gott kommt selbst in Menschengestalt in die Welt, um heil zu machen, was zerbrochen ist – die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Er selbst kommt zu uns als Mensch, um zu versöhnen, um neues Leben in Gemeinschaft zu schenken und zu ermöglichen.

In der Erzählung vom 12-jährigen Jesus im Tempel blitzt diese Erkenntnis nach der Geburtserzählung zum zweiten Mal auf. Und auch diese Geschichte wird – wie die Weihnachtsgeschichte – vom Unverständnis derer durchzogen, die mit Jesus auch mit Gottes großem Geheimnis zu tun bekommen. In Jesus ist Gott bei den Menschen – zum Greifen nah, im Tempel, ganz Mensch, der die Tradition seiner Religion, in der er seine Wurzeln hat, begreifen will.

In Jesus ist Gott nahe bei den Menschen – und sprengt zugleich immer wieder die Bilder und Vorstellungen, die sich Menschen von ihm machen. Lukas komponiert das besonders kunstvoll: keine normale ,,standesgemäße“ Geburt in einem Palast, nun kein ,,normaler“ Jugendlicher – und später eben kein ,,kalkulierbarer“ Wunderheiler. Bis heute sprengt Gott in Jesus Christus alle Bilder. Je stärker ich ihn auf ein Bild reduziere, desto mehr entzieht er sich – und enttäuscht mich im wahrsten Sinne des Wortes.

Und dann – dann begegnet mir in Jesus Gott in seiner Fülle selbst. Nie so, dass ich ihn „im Griff“ hätte.

Der 12-jährige Jesus im Tempel – er lädt dazu ein, unsere Gottesbilder zu überprüfen, zu weiten und sie zu öffnen für neue und überraschende Begegnungen mit Jesus als dem Christus. Wer es mit Gott zu tun bekommt, merkt schnell, dass Gott tiefer blickt und sich nicht von den eigenen Bildern blenden lässt. In diesen ganz besonderen Augenblicken spüre ich: Ich bin gemeint! In Jesus blickt mich Gott selbst an, schaut bis auf den Grund meines Lebens durch alle Fassaden hindurch.

Im Alltag nehme ich das manchmal gar nicht wahr. Da stehen mir meine Bilder von der Begegnung mit Gott im Weg. Manchmal merke ich es erst, wenn ich zurückschaue: Hier ist heil geworden, was zerbrochen war; da habe ich Stärkung in großer Schwäche erfahren; dort habe ich mich getragen gefühlt, als ich eine schwierige Entscheidung treffen musste.
In solchen Momenten bekomme ich eine Ahnung davon, was es heißt, dass in Jesus Christus der Abgrund zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und mir überwunden ist. Von solchen Erfahrungen lebt mein Glaube an den lebendigen Gott, und mein Zutrauen, dass Gott mich weder im Tod noch im Leben fallen lassen wird.

Manchmal wird mein Leben ganz schön durcheinander gebracht durch Gott, der sich nicht um meine Bilder schert und einfach ist, wie er ist. Ich habe mich in manchen Gegebenheiten meines Lebens ganz gut eingerichtet. Da bin ich nicht immer darauf aus, eine verändernde, vielleicht sogar unbequeme Begegnung mit Gott zu haben.

Wenn es Ihnen auch so geht, dürfen Sie genauso wie ich diese Erzählung vom 12-jährigen Jesus im Tempel als eine Anfrage verstehen: Hat mein Glaube Platz für neue Erfahrungen mit dem lebendigen Gott? Oder habe ich mich gemütlich eingerichtet in dem Gefühl, schon ziemlich gut einschätzen zu können, was von Gott zu erwarten ist? Vielleicht wäre mein Glaube lebendiger und auch ansteckender, wenn ich der Leben schaffenden Gegenwart Gottes auch im Alltag mehr zutrauen würde.

Lassen Sie sich mitnehmen von diesem Bibeltext. Mitnehmen in die Offenheit, dass Gott selbst immer wieder gut ist für eine Überraschung. Dass er selbst mit seiner verborgenen Seite heilend in Ihr und in mein Leben treten will, um uns teilhaben zu lassen an der Gewissheit, dass es nichts gibt, was uns von ihm trennt, weil er selbst einer von uns geworden ist.

Jesus Christus hat das Haus seines Vaters für uns vorbereitet. Um diese Zuversicht darf ich immer wieder neu bitten. Damit sie mich durch das Leben trägt und zu einem Christenmenschen macht, der Gott viel zutraut – eben auch, mich zu überraschen.

Amen.

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Epiphanias


(Die Predigt wurde von Pfarrer Rolf Weiß zur Verfügung gestellt.)
Der Predigttext: Jesaja 60, 1-6

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Mit ein paar Versen aus dem Kapitel vor dem heutigen Predigttext möchte ich die Lage zurzeit von Jesaja und dem 2. Tempel skizzieren: Es ist sozusagen dunkel geworden in Israel. Die Sonne des Rechtes und der Gerechtigkeit scheint nicht mehr. Die Schuld gegenüber dem Mitmenschen ist übermächtig. „Denn eure Hände sind mit Blut beschmutzt, eure Finger mit Frevel, eure Lippen reden Lüge, eure Zunge spricht Falschheit.“ (Jes. 59,3) Wie einst in Sodom schreit auch in Israel das Unrecht zum Himmel. „Keiner ruft mit Gerechtigkeit, keiner wird mit Treue gerichtet“ (V.4), und: „den Weg des Friedens kennen sie nicht, kein Recht ist auf ihren Pfaden…, deshalb ist fern von uns das Recht, die Gerechtigkeit erreicht uns nicht“ (V.8f), „wir hoffen auf Recht, doch es ist nicht da, auf Hilfe, sie ist von uns entfernt“ (V11),nach hinten gedrängt ist das Recht, die Gerechtigkeit steht in der Ferne“ (14). Gott bleibt aber nicht gleichgültig, wenn das Recht mit Füßen getreten wird: „Gott sah es, und es war böse in seinen Augen, dass kein Recht war.“ (15)

„Gott sah es“, liebe Gemeinde, weil er immer hinsieht, was in seiner Schöpfung geschieht, immer erkennt, wenn Unrecht und Frevel überhand nehmen. Die Zustände in Israel sind unhaltbar geworden. Jes. 59, 1-11 beschreibt sie mit großer Dichte und Eindringlichkeit und fasst das Ereignis der Rechtsverachtung mit ein paar Worten zusammen; „Wir hoffen auf Licht, doch es ist Finsternis, auf Strahlenglanz, doch im Dunkel müssen wir gehen“ (9). Und das gehen ist höchst beschwerlich: „Wir tappen wie die Blinden an der Wand, wie ohne Augen tappen wir.“ (10)

Das Volk ist freilich nicht uneinsichtig, nicht gefühllos dem Geschehen gegenüber. Es reißt sich zusammen und sucht einen Ausweg aus der unerträglichen Lage. Offen legt es ein Schuldbekenntnis ab (12-15): „Unsere Vergehen sind zahlreich vor dir…“ (12), „die Wahrheit wird vermisst“ (15), sie ist verschwunden, ist abhanden gekommen.

Gott reagiert auf das Schuldeingeständnis. Er schlägt Israels Feinde mit der Hilfe „seines Arms“, mit der „wie einen Panzer umgelegten Gerechtigkeit“ (16f). Und so breitet sich der Respekt vor ihm aus in West und Ost (19), und „für Zion kommt der Erlöser“ (20). Die Dunkelheit in Israel ist überwunden, und das heißt, dass künftig das Unrecht vermieden und das Recht Einzug halten wird.
Noch ist es nicht auf der ganzen Erde hell, licht geworden, doch für Israel beginnt eine neue Epoche. „Erhebe dich, werde licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn strahlt auf über dir.“ (60,1). Unser Predigttext steht im Kontext mit diesem vorangehenden Kapitel und schildert die große Wende und ihre Folgen.

Jesaja 60, 1-6:
1 Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
2 Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
3 Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
4 Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.
5 Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.
6 Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.

Dazu wurde ein Kanon komponiert, den wir schon bei verschiedenen Gelegenheiten in unseren Gottesdiensten gesungen haben (EG 545):
Mache dich auf und werde licht.
Mache dich auf und werde licht.
Mache dich auf und werde licht;
denn dein Licht kommt.
Text: Jesaja 60,1
[Kanon für 4 Stimmen: Kommunität Gnadenthal 1972]

Liebe Gemeinde,
nun wissen wir endlich, warum die Weisen aus dem Morgenland Gold und Weihrauch mitbringen. Sie hatten das möglicherweise bei Jesaja so gelesen bzw. erzählt bekommen. Ansonsten wird diese großartige Szene, diese geradezu glänzende Vision von Jesaja nirgends in unserem ‚Neuen Testament’ zitiert. Dabei sind doch die Vorstellungen vom Friedefürsten und dem Messias ganz maßgeblich von den ersten Kapiteln im Buch Jesaja geprägt: Die Völkerwallfahrt zum Zion, wo Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden (Kap.2); die Geburt von Gottheld und Wunderrat im vollen Licht der Geschichte (Kap. 9); und schließlich der Geist der Weisheit und des Verstandes als Nachkomme Isais (Kap.11).

Zuviel ist offensichtlich dazwischen geschehen. Das Volk war mittlerweile jahrelang in Gefangenschaft gewesen, jedenfalls im Exil. Es hatte lange auf den Messias warten müssen. Und in der angekündigten Form ist er dann doch nicht gekommen. Und nach der Rückkehr des Volkes Israel war der neue Tempelbau in Jerusalem, der zweite Tempel, vermutlich gerade oder nicht einmal so groß wie unsere Kirche in Diedelsheim, anstatt (im übertragenen Sinn) den Petersdom zu übertreffen, wie sozusagen zu erwarten gewesen wäre.

Und auch die Christen beäugten später alle Lichtgestalten mit einer gewissen Skepsis. Schließlich gab es einige Sekten, die gerade mit dem Gegensatz von Licht und Finsternis ihre Lehren beschrieben haben.

Und dennoch ist dieses Bild vom Licht immer wieder faszinierend, ist es bis heute geblieben. Denken Sie an den letzten Sonnenuntergang, den sie von der Diedelsheimer Höhe oder am Ende der Lugenbergstraße genossen haben oder an den Sonnenaufgang über Maulbronn. Wenn erst die Morgenröte das Ende der Nacht ankündigt, bevor sich die glutrote Sonne zu einem riesigen Feuerball formiert, der größer ist als die ganze Stadt. Faszinierend, nicht wahr?

Kein Wunder, dass die Vorstellung davon die Herzen erwärmt und höher schlagen lässt. Noch dazu, wenn dieses Licht –wie an Weihnachten- mitten in die Nacht hinein erstrahlt und alles andere buchstäblich in den Schatten stellt. Da kribbelt’s im Bauch. Spüren sie’s schon?

Das „große Licht“ ist ein Geschenk Gottes an seine Geschöpfe, die im vollen Glanz eines neuen Morgens in eine bessere Zeit eintreten dürfen. Das verbindet die Zeit Jesajas mit der großen Zeitenwende vor gut 2000 Jahren und uns heute: Die Sehnsucht nach einer besseren Welt. Wenngleich es uns heutzutage trotz Corona zumindest insgesamt nicht schlecht geht. Oder, wie mir eine 90- Jährige voller Freude ans Herz legte: „Herr Pfarrer, mit ist es noch nie so gut gegangen wie heute.“ Von wegen: ‚Früher war alles besser.‘

Wenn wir genau auf die Worte Jesajas hören, dann ist der Vorgang eine gegenläufige Bewegung. Zwei Subjekte bewegen sich aufeinander zu. Mache dich auf….denn dein Licht kommt. Sie sind füreinander bestimmt, sie sollen einander begegnen. In dieser Bewegung aufeinander zu gleichen sie sich einander an. Wie ein altes Ehepaar, das sich immer ähnlicher wird.

Das Volk wird nicht nur aufgerufen, sich auf die Socken zu machen. Sondern sie sollen dabei selbst hell werden, licht werden – ein Eigenschaftswort wird hier in der ersten Satzhälfte benutzt, kein Substantiv. Mache dich auf und werde licht, denn dein Licht kommt.

Mich fasziniert dieser enge Zusammenhang von Ethik und Erlösung. Recht und Gerechtigkeit ermöglichen sozusagen dem Licht sein Erscheinen, sind seine Wegbereiter. Sie gehören eindeutig zusammen. Dabei sind es ganz klar nicht die Menschen, die das Licht entfachen, sondern es kommt als Geschenk Gottes zu ihnen. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Loslösung von Gewalttat und die Bereinigung früherer Schuld.

Aber sie haben durchaus die Wahl, ob sie sich ihm entgegenstellen, den Weg versperren, einen Sack drüber stülpen oder es unter einen Scheffel stellen wollen.

Oder aber, ob sie zum leuchtenden Vorbild für die Völker werden wollen. Die ihnen dann friedlich begegnen, sie voller Freude besuchen und Geschenke mitbringen; die ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden, weil sie erkannt haben, dass Waffen und Soldaten keinen Frieden bringen – nirgendwo auf der Welt und zu keiner Zeit.

Das Fest heute heißt -aus dem Griechischen übersetzt-: ‚Erscheinungsfest’. Erschienen ist die Liebe Gottes bei allen Menschen. Erschienen ist das Licht gegen die Dunkelheiten der Welt. Erschienen ist Gottes Willen zum Frieden. Erschienen ist die Erlösung von Sünde und Tod.

Machen wir uns auf! Gehen wir dem Licht Gottes entgegen! Werden wir selber licht! Werden wir Vorbilder für die Welt, damit sie die Weihnachtsbotschaft sehen kann: Euch ist heute der Heiland geboren! Fürchtet euch nicht!

Amen.

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1. So. nach Epiphanias


(Die Predigt über Römer 12, 1-8 hat Pfarrer Rolf weiß zur Verfügung gestellt.)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater,
und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Das Leben als Gottesdienst
1 Ich ermahne euch nun, liebe Geschwister, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.
2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Die Gnadengaben im Dienst der Gemeinde
3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Liebe Gemeinde,
am Schluss jeden Gottesdienstes wird ein neuer Anfang gesetzt. Der Schlussteil bildet eine ganz besondere Einheit, die unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden unter dem Stichwort ‘Sendung und Segnung’ kennenlernen.

Sie – diese Einheit – beginnt mit den Fürbitten. Dieses Gebet am Ende unserer Gottesdienste weist über uns selbst hinaus. ‘Fürbitte halten’ heißt immer: Für andere Menschen beten. Für andere Menschen eintreten. Stellvertretend für andere um etwas bitten. Für die Welt eintreten. Dieses Gebet ist damit nach vorne gerichtet, in die Zukunft. Auch wenn diese noch kommende Zeit dann schon in den nächsten Minuten beginnen kann.

Auch die Abkündigungen weisen schon auf das hin, was noch kommen wird. Die Veranstaltungen in der nächsten Woche und die Einladung zum nächsten Gottesdienst gehören immer mit dazu. Der Wochenspruch beschreibt die geistliche Ausrichtung in der gerade beginnenden Woche.

Mit dem Segen schließlich sollen dann alle gestärkt in die nächsten Tage, in die folgende Woche entlassen werden. Im Segen liegen Bitte und Zuspruch eng beieinander. Wir leben als Christinnen und Christen immer unter dem Versprechen Gottes, dass sein Segen auf uns ruht und uns durch den Heiligen Geist begleitet. Gleichzeitig bitten wir Gott jedes Mal wieder darum, diesen Segen nicht von uns zu nehmen. Denn zu viel gibt es, das uns von ihm entfernen könnte oder sogar schon entfernt hat.

Darum vermissen wir aktuell gerade in diesen Wochen etwas: Das Verabschieden an der Kirchentür, der kleine Plausch auf dem Platz vor der Kirche und erst recht das gemeinsame Tee- und Kaffeetrinken sollen ja deutlich machen: Wir gehören zusammen. Nicht jede und jeder einzelne müssen nun sehen, wo sie bleiben. Sondern -wie unterschiedlich als Personen wir auch sein mögen- als Gemeinde halten wir zusammen, haben ein Ohr und auch ein gutes Wort füreinander. Die ‘Gemeinschaft der Heiligen’ ist ja mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Sie soll auch ganz konkret erfahrbar sein.

Sendung und Segnung verweisen uns auf die kommende Woche. Sie wollen uns stärken für das, was da auf uns zu kommt. Unser Christsein endet schließlich nicht an der Kirchentür. Und es ist auch nicht mit dem Sonntag zu Ende. Das entsprechende Stichwort lautet: „Christsein im Alltag der Welt“.

Oder wir könnten es auch mit den Gedanken von Paulus so ausdrücken: Auch von Montag bis Samstag lasst uns Gottesdienst feiern! Von unserem Lebensstil her gibt es dann eigentlich keine Unterscheidung mehr von ‘Werktag’ und ‘Sonntag’, will sagen: An jeden Tag, den wir leben, gestalten wir unser Leben so, dass es Gott gefällt. „Das Leben als Gottesdienst“ sind die beiden ersten Verse des Predigttextes darum in der Lutherbibel überschrieben.

Der ‘kleine’ Unterschied besteht darin, dass die meisten von uns sonntags keiner Arbeit nachgehen, sondern uns und der Schöpfung Ruhe gönnen. Wir kommen als seine Gemeinde zusammen, um miteinander auf Gottes Wort zu hören und ihn zu loben, um ihm unsere Bitten vorzutragen, und um gemeinsam Freud und Leid zu teilen und zu tragen.

„Schön und gut“, möchten jetzt vielleicht manche von Ihnen einwerfen, „das kann ja für Rentner und nicht- Berufstätige gelten, vielleicht noch für Kinder. Aber das sollte ich mal meinem Chef erzählen …!“

Ich nehme diesen Einwand ganz ernst! Denn er spielt für unsere Gesellschaft eine wichtige Rolle. Ob er nun so ausgesprochen wird oder nicht. Unbewusst existiert er, und ganz praktisch bestimmt er auch das Alltagsleben in Bretten.

Halten wir uns aber erst einmal vor Augen, dass Paulus seinen Brief gerade nicht an einen ‘Club Méditerrannée’, oder einen anderen Verein zur Freizeitgestaltung irgendwo in der Provinz schreibt. Nein, er richtet diese Zeilen an die Gemeinde in der Weltstadt Rom. Er schreibt Leuten, die mit beiden Beinen drinstehen im harten ‚Berufsalltag‘. Er schreibt Leuten, die zum Teil schon das Schicksal von Sklavenarbeit kennenlernen mussten. Er schreibt Leuten, die mitten drin sind im Leben einer Metropole.

Nicht alte Bekannte sind sie, diese Menschen in Rom, die ihm schon nachsehen werden, wenn er nicht so ganz am ‘Puls der Zeit’ lebt; die schon Verständnis dafür haben werden, dass er als Prediger so etwas von sich gibt. Nein, eher im Gegenteil! Die Gemeinde und Paulus kennen sich noch gar nicht persönlich. Er schreibt ihnen, um sich und seine Gedanken einmal vorzustellen. Sein Ziel ist dabei, dass er gerade von dieser Gemeinde dann zu sich nach Rom eingeladen wird. Denn von Rom aus möchte er anschließend seine Missionsreisen nach Westen fortsetzen.

Acht Kapitel lang hat er dazu vor der Gemeinde ausgebreitet, wie es kommt, dass die Menschen mit all ihren Fehlern und Verbrechen Gott überhaupt noch unter die Augen treten dürfen. Danach beschreibt er das Verhältnis zur Judenheit. Und mit dem zwölften Kapitel beginnt er nun, als Konsequenz aus dem bisher Gesagten seine Ethik zu entfalten. Übersetzen wir das Wort ‘Ethik’ mit: ‘Verhaltensmaßstäbe’. Paulus ist fest davon überzeugt, dass der christliche Glaube an Gott mit unserem ganzen Leben zu tun hat. Und gerade darum muss es sich jeden Tag in allen Ecken und Winkeln des Lebens widerspiegeln. Natürlich aus heutiger Sicht auch in unseren Entscheidungen zur bisher sträflich vernachlässigten Klimapolitik.

Nun wusste auch Paulus schon davon, dass eine Ethik nicht etwas sein kann, das ein für alle Mal gültig ist. Zu viele Besonderheiten und Ausnahmen erfindet das Leben immer wieder. Und auch zu seiner Zeit gab es schon Menschen und Berufe, die sonntags gearbeitet haben. Wir brauchen dabei nur an die Fischer denken, die im Umfeld Jesu eine Rolle gespielt haben. Christliche Ethik hat solche und andere Ausnahmen immer im Blick gehabt, insofern sie seit jeher sonntags solche Arbeiten zugelassen hat, die dem Erhalt von Leben und Gesundheit dienen. Das ist in der Judenheit am Sabbat übrigens seit alters her genauso.

Was in den letzten Jahren andeutungsweise zu Auseinandersetzungen zwischen den Kirchen und der Industrie geführt hat, ist der Wunsch, um des Profites willen die Sonntagsarbeit wieder generell einzuführen. Das ist natürlich in der Zeit hoher Arbeitslosigkeit ein sehr heikles Thema. Wenn aber die Autoindustrie sogar Prämien gewährt, obwohl sie den Staatszuschuss „Rettungsschirm“ beansprucht, dann sind doch zumindest Zweifel an der Wirtschaft und ihrer Aufrichtigkeit angebracht, oder?!

Und dann steht da bei Paulus jetzt auch noch, dass die Leiber als Opfer gegeben werden sollen. Will es sich dieser Kerl denn mit allen verscherzen? Mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern?! Sonntags soll einerseits nicht gearbeitet werden, aber unter der Woche sollen die Arbeiterinnen und Angestellten dann andererseits freiwillig als Opfer herhalten? Das kann doch nicht sein!

So ist es auch nicht gemeint. Das Wort ‘Opfer’ löst bei uns Gedanken aus, die Paulus so nicht hatte: Erdbeben- oder Flutopfer, Unfall- oder Betrugsopfer usw. Opfer heißt auch nicht: Alles mit sich machen lassen. Sondern Paulus nimmt an dieser Stelle Bezug auf andere Religionen seiner Zeit, zu denen das Opfern von Tieren ganz selbstverständlich mit dazugehörte. Wenn die Menschen nun zu ‘Opfern’ werden sollen, dann meint das nichts anderes als: Führt euer ganzes Leben so, dass es Gott gefällt, von Montag bis Sonntag.

Das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene zeichnet die Christen gegenüber ihren Mitmenschen aus. Darin liegt ihre Besonderheit. Nicht irgendein Tier übernimmt für mich etwas stellvertretend, sondern ich muss schon selber vor Gott hin stehen und mich mit ihm auseinandersetzen. Aber wir haben andererseits Gottes Wort und seine Taten in Jesus Christus, an denen wir prüfen können, was sein Willen ist. Und jede Ethik muss das immer wieder neu tun. Gerade darum muss die Gemeinde auch immer wieder zusammenkommen. Derzeit müssen wir dafür neue Wege finden. Und das wird auch noch eine Weile so bleiben, schätze ich. Die alten Maßstäbe müssen daraufhin überprüft werden, ob sie neuen Gegebenheiten noch standhalten. Und gerade darin wird unser Gottesdienst ein ‘vernünftiger’ Gottesdienst, ein Dienst für Gott und die Welt.

Und darin haben nicht notwendigerweise alle die gleichen Aufgaben, wie die nächsten Zeilen von Paulus belegen. [lesen: vv 4-8/18]

4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,
5 so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied,
6 und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.
7 Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er.
8 Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s gern.

18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Amen.

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2. So. nach Epiphanias


Die Predigt wurde von Pfarrerin Czetsch aus Rinklingen zur Verfügung gestellt.
Predigttext: Genesis 16, 1-6 Die Geschichte der Hagar

Gott segne unser Reden und Hören.

Kennen Sie Hagar?
So ab meiner Altersklasse werden einige Hägar kennen.
Klingt ja fast so wie Hagar. Aber der furchtlose Wikinger aus den Wochenendcomics der Zeitung ist nicht gemeint.
Also habe ich mal in meinem Nahbereich herumgefragt, aber so richtig gekannt hat die Frau kaum jemand.
Und ich muss zugeben, das geht auch auf mein Konto.

In der Grundschule starte ich in der ersten Klasse ganz klassisch mit den Väter- und Müttergeschichten. Ich erzähle von Abraham und Sarah, Jakob und Esau und dann Josef und seinen Brüdern.
Erzähle, was diese Menschen mit Gott erlebt haben.

Soweit so gut. Aber die Geschichten sind gekürzt, wenn ich ehrlich bin.
Da ist natürlich soviel drin in den Geschichten, das sprengt ganz einfach den Rahmen.
Zum anderen überlege ich mir natürlich, was für das Alter von 6 Jahren passt.

Ich erzähle von Abraham und dass er ein Segen für alle Völker ist. Ich erzähle von seinem Vertrauen auf Gott. Und über die Freude Sarahs über ihren Sohn Isaak.

Ich lasse einiges weg. Zum Beispiel die Geschichte vom Pharao und Abraham und Sarah. Der Pharao von Ägypten findet Sarah so schön, dass er sie zur Frau begehrt.
Und was macht Abraham? Er bittet Sarah, sich als seine Schwester auszugeben. Er hat Angst, wegen seiner Frau ermordet zu werden. Und Sarah spielt mit und verschwindet in den Frauengemächern des Pharaos.

Sie verstehen, warum ich das Sechsjährigen nicht erzähle oder?

Abraham wird reich beschenkt. Aber Gott findet das gar nicht gut. Das Haus des Pharao wird heimgesucht und keiner weiß warum. Bis schließlich die Lösung gefunden wird. Sarah kehrt wieder zu Abraham zurück.
Trotz des ganzen Ärgers beschenkt der Pharao Abraham und Sarah reich. Unter anderem mit Sklaven und Sklavinnen.
Das könnte also der Zeitpunkt sein, in dem Hagar in der Geschichte auftaucht.

Hagar wird eine ägyptische Sklavin der Sarah genannt.
Sie gehört der Sarah.
Sarah kann bestimmen, was mit Hagar geschieht.
Und Sarah dauert das zu lange mit dem Warten auf den Sohn.
So viele vergebliche Jahre.
Sie versucht, durch Hagar einen Sohn zu bekommen.
Und Abraham macht mit. Er macht, was seine Frau ihm sagt.

Hagar wird schwanger. Und jetzt läuft alles etwas anders als Sarah sich das vorgestellt hat.
Hagar wird sich ihrer neuen Rolle bewusst und lässt sich nicht mehr so leicht herumkommandieren. Sarah gefällt das gar nicht. Sie beschwert sich bei ihrem Mann. Und wieder das gleiche Spiel:
Abraham macht, was seine Frau ihm sagt.
Und bevor Sarah nun ihren Neid, ihre Eifersucht, ihre Verzweiflung an Sarah abreagiert, flieht Hagar in die Wüste.

Sie verstehen, warum ich das Sechsjährigen nicht erzähle oder?

Zum einen ist eine Altersbeschränkung sicherlich sinnvoll.
Zum andern hängt das auch mit meinem Wunsch nach Glaubenshelden oder überhaupt Helden und Heldinnen zusammen.
Abraham und Sarah, das sollen Vorbilder sein ohne Fehl und Tadel.
Ich bin so dankbar, dass die Bibel, die Heilige Schrift, diesem Wunsch nicht nachkommt. Hier wird die Geschichte ganz erzählt.
Hier stehen Geschichten, in denen Menschen Gott erfahren und das seit Jahrtausenden.
Und sie stehen so ganz anders drin, als es damals üblich war.
Da sprachen Götter mit Göttern, vielleicht noch mit Königen.
Aber nie, wirklich nie mit normalen Menschen.
Und kein einziges Mal, wirklich kein einziges Mal hat ein Gott mit einer Sklavin gesprochen.

Gott geht seinen Bund mit Abraham und Sarah ein. Abraham hatte Angst und verleugnete seine Frau. Er bekam Geschenke dafür und überlebte.
Und Sarah fehlte die Geduld, auf das Versprechen Gottes zu warten. Sie wollte das Schicksal selbst in die Hand nehmen und stürzte sich in Neid und Eifersucht.

Gott schließt seinen Bund genau mit diesen Beiden.

Und es geht noch weiter.
Die erste Frau, mit der Gott spricht, ist Hagar.
Die erste Frau, der sich Gott offenbart, ist Hagar.
Gott hat Augen und Ohren für diese Frau, die gegen ihren Willen in die Geschichte von Abraham und Sarah hineingeschubst wurde.
Und der erste Mensch, der Gott einen Namen gibt, ist Hagar.
Eigentlich müsste es einen Feiertag für diese Frau geben oder einen Gedenktag oder sonst was Großes.
Denkt an Hagar und an Gott, der sich ihr offenbart hat.
Du bist ein Gott, der sieht.
Ein Gott, der die Menschen sieht.
Ein Gott, der Hagar sieht.
Ein Gott, der mich sieht, heute, gestern und morgen.

Du bist ein Gott, der mich sieht.
Das sagt Hagar.
Die ägyptische Sklavin.

Ich muss da unweigerlich an den Mann denken, der ein paar Kapitel später aus ägyptischer Sklaverei mit seinem Volk flieht.
Ich denke da an Mose.
Ihm offenbart sich Gott mit seinem Namen:
Ich bin der, für dich da ist.

Ich bin Gott für dich
und ich bin ein Gott, der dich sieht.
Ein Gott, der mich ansieht.

Beides gehört für mich zusammen.

Beides Mal spricht Gott zu Sklaven.
Beide Male zeigt er leidenschaftlich, ich bin drin in eurem Leben.
Ich sehe dich, Mensch.
Du Mensch, mit deinem Leben, deinen Niederlagen, deinen Hoffnungen, deinen Aufbrüchen, du bist von mir gesehen.
Du bist von mir gesehen und gehalten.

Beiden gibt Gott ganz neue Lebensmöglichkeiten.
Hagar kehrt noch einmal zurück. Wie hätte sie schwanger auch überleben sollen?
Später wird sie mit ihrem Sohn Ismael wieder in die Wüste gehen und ihr Sohn wird frei sein. Und sie wird frei sein.
Mose wird mit seinem Volk durch die Wüste ziehen und die Sklaven werden in Freiheit leben.

Hagar, das ist die Frau, die Gott sieht.
Hineingekickt in die Geschichte von Abraham und Sarah
hat sie für uns und alle Zeiten offenbart, wie Gott ist.
Du bist ein Gott, der mich sieht.
Der mich sieht mit meiner Lebensgeschichte, mit meiner Gegenwart und Zukunft.
Mit allem, was dazu gehört. Ein Gott, der mich zurückschickt und aufbrechen lässt und mitgeht ein Leben lang. Amen.

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3. So. nach Epiphanias


Gottesdienst für Diedelsheim und Dürrenbüchig im Rahmen der regionalen Predigtreihe zum Thema
„Gott hilft – Was uns trägt und stark macht“
(Zur Verfügung gestellt von Dekanin und Pfarrerin Ulrike Trautz.)

„Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“
1. Könige 19

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Die ersten Schritte im neuen Jahr liegen längst hinter uns. Manche Vorsätze und Hoffnungen beginnen sich bereits im Alltagstrott zu verlieren. Da tut es gut, sich zu vergewissern, dass wir nicht alleine sind auf dem Weg durch dieses Jahr:
„Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Psalm 91,11)

Wir beten:
Gott,
wir halten dir dieses angebrochen Jahr hin
und bitten dich um deine spürbare Gegenwart in unseren Tagen.
Vieles treibt uns von dir weg,
vieles stellt sich zwischen dich und mich,
vieles lenkt uns von dir ab.
Lass uns bitte trotzdem nicht im Stich.
Zeig dich uns mit deiner wärmenden Nähe,
mit deiner unbändigen Kraft,
mit deiner beharrlichen Liebe.
Amen.

Liebe Gemeinde,
eigentlich ist es eine grässlich blutrünstige Geschichte, die uns im 1. Buch der Könige erzählt wird: Sie spielt in der Zeit als Ahab König in Israel ist. Seine Frau Isebel, eine Königstochter aus Sidon, ist die treibende Kraft, die den Baalskult in Israel eingeführt und die Propheten Gottes systematisch ausgerottet hat. Das Volk passt sich an und scheint seine Geschichte zu vergessen, scheint seinen Gott zu vergessen, der es aus Ägypten befreit und in dieses Land geführt hat, in dem sie jetzt leben.
Nur Elia tritt als einsamer Streiter für die Sache Gottes auf, mutig und kraftvoll. Und es gelingt ihm schließlich, Israel zurück auf die Seite Gottes zu ziehen bei einer Machtprobe der Götter auf dem Berg Karmel: Baal gegen den HERRN – 450 Baalspriester gegen Elia, den einzig übriggebliebenen Propheten Gottes.
Und Gott erweist seine Macht. Feuer ergreift den von Elia aufgerichteten Altar und das Volk bekennt sich zu seinem Gott: „Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott!“ rufen sie. Sieg also auf der ganzen Linie.

Aber Elia ist es nicht genug. Im Siegesrausch tötet er alle Baalspriester und erliegt damit dem allzu menschlichen Bedürfnis, den Erfolg in der Rache am Gegner auszukosten. Damit zieht er den Zorn der Königin auf sich, die ihn töten will.
Elias Kraft ist plötzlich gebrochen. Er flieht in die Wüste:

Elia aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: „Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.“
Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster.
Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: „Steh auf und iss!“
Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“
Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. (1. Könige 19, 4-8)

Liebe Gemeinde,
viele von uns kennen ähnliche Wüstenerfahrungen wie Elia:
Das Leben ist unwirtlich geworden, öde und leer. Die Kräfte sind aufgebraucht. Alle Ressourcen weg. Kein Zeichen des Lebens, nichts Grünes, das auf Hoffnung hindeutet. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. „Es ist genug.“
Es ist genug mit dem täglichen Kampf gegen die Schmerzen…
Es ist genug mit den steigenden Anforderungen am Arbeitsplatz…
Es ist genug, nie zu wissen, was falsch und was richtig ist …
Es ist genug, immer für andere da sein zu müssen und selbst dabei auf der Strecke zu bleiben…
Manchmal, da sind wir müde wie Elia, vielleicht sogar lebens-müde.
Am liebsten einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen…
„Es ist genug. So nimm nun, Herr, meine Seele.“

Elia schläft ein.
Nach all der aufregenden Zeit kommt er langsam zur Ruhe, flieht in die Bewusstlosigkeit. Todesähnlich stelle ich mir seinen Schlaf vor. Doch als Hoffnungszeichen steht neben ihm ein Ginsterbusch. Symbol dafür, dass auch die Wüste Leben hervorbringen kann. Wenn auch nicht gerade saftig und blühend, so doch wenigstens ein bisschen grün.

Wie lange mag Elia wohl so gelegen haben inmitten seiner inneren und äußeren Wüste, beschirmt von einem Ginsterstrauch? Hätte er wohl jemals wieder die Kraft gefunden aufzustehen?
Doch da kommt unvermutet Hilfe. Jemand rührt ihn an. Ein Engel, heißt es. Ein Nomade vielleicht. Auf jeden Fall einer, den Gott geschickt hat.
„Steh auf und iss!“

Brot und Wasser stehen bereit. Die Grundnahrungsmittel, die wir zum Leben brauchen. Sie sind Nahrung für Leib und Seele.
Gott lässt uns nicht allein, wenn uns die Kräfte ausgehen.

Gott schickt seine Engel – auch heute noch – auch zu dir.
Manchmal sind sie leicht zu übersehen, weil sie so irdisch und alltäglich sind und weil Gott ganz normale Menschen dafür in seinen Dienst nimmt.

Wer ist für dich schon zum Engel geworden?

„Steh auf und iss!“
Der Engel muss ein zweites Mal zu Elia kommen. Die Kraft reicht noch nicht aus.
So schnell lässt sich die Krise nicht überwinden. Aber Gott hat Geduld mit uns.
Er lässt uns die Zeit, die wir brauchen, aber er lässt uns nicht los. Hartnäckig ist seine Fürsorge. „Steh auf und iss!“ – bis die Kraft ausreicht, um aufzustehen, weiterzuleben und weiterzugehen – „Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“

Gestärkt macht sich Elia auf den Weg. 40 Tage und 40 Nächte geht er durch die Bergwüste des Sinai. Kein leichter Weg. Aber Elia kann ihn jetzt gehen.
Noch weiß er nicht, was Gott mit ihm vorhat. Aber er vertraut.
Und als er schließlich auf dem Berg Horeb ankommt, findet er Gott nicht im gewaltigen Tosen, sondern im sanften Wehen eines zarten Windhauchs, der ihn liebevoll umhüllt. Jetzt ist er bereit, sein Leben neu auszurichten. Und Gott gibt ihm mit einem neuen Auftrag Sinn und Ziel.

Manchmal brauchen wir wohl solche Wüstenzeiten wie Elia, auch wenn es schwer ist sie durchzustehen. Aber Gott hat uns dabei im Blick. Er lässt uns fürsorglich und geduldig die kleinen Stärkungen zukommen, die uns am Leben halten. Und wenn wir dann dafür bereit sind, begegnete er uns. Wir können ihn spüren. Und die Kraft kehrt zurück. Und die Liebe. Und unser Herz weiß auf einmal wieder, wofür es schlägt.
Amen.

Wir beten:
Barmherziger Gott,
danke dass du uns nicht verloren gibst. Dass du hartnäckig bei uns bleibst und für uns sorgst, wenn wir das selber nicht mehr können. Danke, dass du immer eine Perspektive für uns hast, einen Weg und ein Ziel.
Wir bitten dich, gebrauche uns als deine Engel und hilf uns zu sehen, wo andere unsere Hilfe brauchen.
Gemeinsam beten wir weiter:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Gottes Segen begleite uns:
Der Herr segne uns und behüte uns.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über uns
und sei uns gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht über uns
und schenke uns Frieden.
Amen.

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Letzter So. nach Epiphanias


Predigt: Gott hilft: Was uns trägt und innerlich stark macht – Rut und Noomi – Freundschaft in schwierigen Zeiten (Rut 1,1-19a) – Pfarrerin Sabine Hanselle

Liebe Gemeinde,
was trägt uns und macht uns innerlich stark?
Es gibt keine allgemeingültigen Antworten, die allen Menschen auf gleiche Weise helfen. Wir Menschen sind verschieden und auch, das was uns gut tut und wer uns gut ist, ist nicht an jedem Tag gleich.
Mir hilft es persönlich weiter, wenn ich mir die Erfahrungen anderer Menschen anhöre oder ihre Lebensgeschichten lese. Dann kann ich mich von deren Lösungen anregen lassen, eigene Wege zu suchen. Die Erfahrungen anderer Menschen können mir Mut machen.
So eine Mut machende Geschichte ist für mich auch die Geschichte von Rut und Noomi. Diese Geschichte liefert keine fertigen Ratschläge, aber sie gibt mir viele Denkanstöße, die weiterhelfen können, mit schwierigen Lebenslagen zurechtzukommen. Das kurze, nur vier Kapitel umfassende biblische Buch Rut ist die Geschichte über zwei Frauen, die gemeinsam schweres Leid durchstehen. Es ist die Geschichte über eine für uns heute eher ungewöhnliche Freundschaft zwischen einer Schwiegermutter und ihrer Schwiegertochter.

Die ältere der beiden, Noomi, ist aus Bethlehem im Lande Juda, zusammen mit ihrem Mann Elimelech und ihren beiden Söhnen Machlon und Kiljon ins Ausland, nach Moab gekommen. Sie waren im Grunde Wirtschaftsflüchtlinge. Denn eine Hungersnot hatte sie dazu gebracht ihre Heimat, Betlehem zu verlassen. Sie waren mit der Hoffnung auf Brot und Arbeit nach Moab gekommen.

Dafür hatten Elimelech und Noomi in Bethlehem alles zurückgelassen, was ihnen gehörte: Ihr Haus und ihren Acker. Vielleicht dachten sie, dass sie eines Tages zurückkehren würden. Elimelech und seine Familie waren als Flüchtlingsfamilien in dem Land Moab vermutlich nicht gerade erwünscht, allenfalls geduldet. Aber irgendwie werden sie zurechtgekommen sein in dem fremden Land, mit der fremden Sprache und einer fremden Religion. Die Zeit vergeht.

Doch dann stirbt Elimelech, Noomis Mann. Sicher klagte Noomi über den Tod ihres Mannes wie es damals üblich war, riss sich die Haare aus, zerriss ihre Kleider, legte einen Sack an, streute sich Asche auf den Kopf. Doch war ihre Trauer und Not gemildert, da sie ja noch ihre beiden Söhne hatte. Sie würden für sie sorgen, wenn Noomi alt geworden war. Ihre Zukunft schien gesichert. Doch bereits die Namen ihrer beiden Söhne lassen bevorstehendes Unheil erahnen. Es sind sprechende Namen, sie deuten schon den Fortgang der Geschichte an Machlon und Kiljon. Diese hebräischen Namen lassen sich am besten mit „Krankheit“ und „Schwindsucht“ wiedergeben.
Machlon und Kiljon heiraten moabitische Frauen: Orpa und Rut. Auch die Namen Rut und Orpa haben einen Bezug zur Geschichte. Orpa heißt „hartnäckig“ oder auch „Nacken“. Orpa ist diejenige der beiden Schwiegertöchter, die später Noomi ihren Rücken zuwandte und sie verließ. Bei Rut klingt ein hebräisches Wort an, das so viel wie „Freundin“ oder „Nächste“ bedeutet. Sie ist diejenige, die sich anders als Orpa als Noomis Freundin und Lebensgefährtin zeigt.
Rut und Orpa kamen ins Haus von Machlon und Kiljon. Vermutlich waren sie für Noomi willkommene Arbeitskräfte. Durch sie wurde das Leben von Noomi leichter.

Doch dann kam ein schwerer Schicksals-schlag: Machlon und Kiljon wurden schwer krank und starben. Durch ihren Tod hatte Noomi ihre letzte Versorgungsgrundlage verloren. Sie war nun Witwe und sie war alt, zu alt, um noch einmal eine neue Ehe einzugehen und Kinder zu bekommen. Ihr Schutz hätte nun von anderen Mitgliedern der Großfamilie übernommen werden müssen. Aber sie war weit weg von ihrer Sippe, im Ausland.

Noomi muss nun handeln und sie entschließt sich mit ihren Schwiegertöchtern nach Bethlehem zurückzukehren. Sie zieht los in dem Vertrauen, dass es stimmt, was sie gehört hatte: Dass es wieder Brot in Bethlehem gibt. Ihr verstorbener Mann hatte früher ein Stück Land in Juda besessen, das er verkauft hatte. Vielleicht hoffte sie, dass es einer der Männer der Sippe zurückkaufen würde – wie es damals üblich war – damit sie davon leben könnte.

Noomi geht mit ihren beiden Schwiegertöchtern. Doch auf dem Weg hält sie plötzlich inne. Sie fragt sich: Soll sie Rut und Orpa wirklich mit nach Juda nehmen? Als fremde Frauen haben sie in Juda doch kaum eine Chance auf eine erneute Heirat. Allein wird das Überleben für die beiden sehr schwer sein. Und Noomi kann sie auch kaum versorgen. Deshalb fordert Noomi ihre Schiegertöchter auf, nach Moab zurückzukehren. Sie möchte das Beste für die beiden jungen Frauen und kann von ihrem eigenen Leid absehen.
Sie denkt nicht zuerst an sich selbst, sondern an die anderen. Dieses Sich-Zurücknehmen zugunsten des anderen ist ein Zeichen von Freundschaft. Noomi fragt nicht, was bringt es mir? Was habe ich davon? Oder was bekomme ich dafür zurück? Sondern sie hat das Wohlergehen der anderen im Blick.
Orpa und Ruth scheinen beide sehr an Noomi zu hängen. Sie bedeutet ihnen viel. Sonst wären sie wohl kaum mit ihr gegangen, sondern lieber bei ihrer Verwandtschaft in Moab geblieben. Sie weinen und sagen beide einmütig: „Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen.“
Vielleicht ist es das gemeinsam geteilte Leid, das sie miteinander verbindet, der gemeinsame Verlust von Machlon und Kiljon, die gemeinsame Trauer um die beiden viel zu früh verstorbenen Männer bzw. Söhne. Die drei Frauen haben eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Erinnerungen, nicht nur traurige, natürlich auch schöne Erinnerungen. Noomi bleibt trotzdem hart mit ihrem Ansinnen. Und tatsächlich eine der beiden Schwiegertöchter, Orpa, lässt sich umstimmen. Noomi überzeugt Orpa, mit dem Argument, dass sie, Noomi, selbst keine Söhne mehr bekommen kann, die die beiden Schwiegertöchter heiraten und versorgen könnten. Noomi hat hier die Schwager- oder Leviratsehe im Blick. Verstirbt ein verheirateter Mann kinderlos, soll der Bruder des Verstorbenen die Witwe zur Frau nehmen. Bekommen die beiden dann einen Sohn, gilt dieser als Sohn des verstorbenen Bruders.
Was für uns sehr befremdlich klingt, war für die damaligen Witwen lebenswichtig. Denn nur so waren sie sozial abgesichert. Ohne Mann konnte eine Frau in der damaligen Zeit nur schwer für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Noomi macht ihren hier ihren beiden Schwiegertöchtern auch ganz klar deutlich, dass sie eine Freundschaft zwischen Frauen in einer von Männern bestimmten Gesellschaft für nicht tragfähig hält. Nur die Ehe mit einem Mann kann Frauen die notwendige Absicherung bringen.

Zum ersten Mal kommt hier Noomis Bitterkeit hoch, ihre Bitterkeit darüber, ihren Mann und ihre Söhne verloren zu haben und nicht für die Schwiegertöchter sorgen zu können.

„Die Bittere“ – So nennt sie sich selbst, als sie in Bethlehem ankommt. Auf Hebräisch heißt das „Mara“. So sagt sie zu den Frauen aus Bethlehem bei der Begrüßung: „Nennt mit nicht Noomi,“ – das heißt: „die Liebliche“, „sondern Mara; denn der Allmächtige hat mir viel Bitteres angetan.“ Noomi ist verbittert und hadert mit Gott. Wer will es ihr verdenken. Kann ein Mensch überhaupt so viel Schweres im Leben, so viel Leid verkraften, wie Noomi es erlebt hat? Erst hat sie den Ehemann und dann beide Söhne zu Grabe getragen.

Rut erweist nun an diesem Tiefpunkt Noomis ihre Freundschaft. Sie hängt sich an ihre Schwiegermutter und weigert sich, diese zu verlassen: „Rede mir nicht ein, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte.“ Und sie schwört ihr sogar: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.
Dieses Versprechen der Rut ist übrigens ein sehr beliebter Trauspruch. Viele Brautpaare wählen genau diese Verse für ihre Trauung aus. Aber es ist hier nicht ein Mann der seiner Frau ewige Treue verspricht oder eine Frau ihrem Mann, sondern die Schwiegertochter ihrer Schwiegermutter.
– Wenn ich das in einem Traugespräch erwähne, wählt sich so manches Brautpaar dann doch einen anderen Trauspruch aus –

Für Rut ist die Beziehung zu Noomi das Allerwichtigste. An erster Stelle steht für sie nicht der Wunsch nach einem Ehemann und nach Kindern. Sie möchte mit Noomi zusammen-bleiben und sie auf ihrem weiteren Weg begleiten.
In Moab bei ihrer Verwandtschaft würde es Rut vermutlich besser ergehen. Wir können also sicher sein, dass ihre Entscheidung für Noomi nicht aus Berechnung heraus geschieht – sie hat von Noomi nichts zu erwarten. Rut erweist sich hier als wahre Freundin.

Eine Freundschaft bewährt sich erst in der Krise. In Gesprächen habe ich schon oft gehört, dass mir Menschen sagten: „Erst wenn es dir schlecht geht, merkst du, wer deine Freunde sind.“ Es ist schwer, das Leid eines anderen mitzutragen. Das Leid des anderen erinnert uns daran, dass auch unser Glück zerbrechlich sein könnte.
Und das Leid anderer mitzutragen, kostet auch Kraft, erfordert Ausdauer, führt uns auch unsre Ohnmacht, unsre Hilflosigkeit vor Augen. Wir können nicht wirklich helfen, wenn ein Mensch traurig ist. Mitleid und Anteilnahme entsprechen nicht dem Bedürfnis vieler nach Spaß und Abwechslung.
So erleben viele Menschen in kritischen Zeiten leider oft, dass Freunde sich zurückziehen. Das ist eine bittere Erfahrung.

Rut handelt aus Liebe und Freundschaft. Von Noomis Seite aus ist dagegen ein langer Lernprozess nötig, bis sie sich auf die Freundschaft mit Rut einlässt. Ihr fehlt am Anfang das Vertrauen in Rut. Sie glaubt nicht, dass Rut ihr eine Stütze sein kann. Vielleicht hat sie Rut sogar als Belastung gesehen. Jetzt muss sie sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um ihre Schwiegertochter kümmern. Als sie in Bethlehem ankommt ist Noomi verbittert, sie kommt „leer“ zurück, ohne Mann, ohne ihre Söhne. Sie zweifelt an Gottes Güte. Ihre Schwiegertochter Rut erwähnt sie vor den Frauen aus Bethlehem nicht einmal. Ihr bitteres Schicksal lässt sie die Augen verschließen für das Gute, das ihr geschenkt ist.

Noomi wird manchmal auch als weiblicher „Hiob“ bezeichnet. Ähnlich wie Hiob, der schweres Leid erfahren hat und nach dem „Warum“ fragt, warum Gott das Leid zulässt, hadert Noomi mit Gott. „der Herr hat gegen mich gesprochen und der Allmächtige hat mich betrübt.“ Sie fühlt sich von Gott verlassen. Rut dagegen bekennt sich zu dem Gott, den sie erst durch Noomi kennengelernt hat: „Dein Gott ist mein Gott.“
Wenn es einem Menschen nicht gut geht, der innere Schmerz unerträglich ist, dann kann es passieren, dass auch Gott für diesen Menschen unendlich fern ist. Gerade dann, wenn man ihn am nötigsten braucht, ist er anscheinend nicht da. Da helfen auch tröstende Bibelsprüche nicht. Das, was Noomi vielleicht hilft, ohne dass sie es gleich merkt, ist der Glaube, das Vertrauen ihrer Schwiegertochter Rut. Rut glaubt an den barmherzigen Gott. Sie kann auch für Noomi stellvertretend mit glauben.
So können auch wir für andere Menschen gewissermaßen stellvertretend glauben, indem wir sie z.B. in unser Gebet miteinschließen, oder indem wir unerschütterlich unseren Glauben leben, ohne viele Worte zu machen.

So macht es jedenfalls Rut. Sie strahlt eine große Zuversicht aus, ein großes Vertrauen, allein dadurch, dass sie handelt und zupackt. Irgendwie müssen Rut und Noomi ja für ihren Lebensunterhalt sorgen. Rut ergreift die Initiative in Bethlehem, indem sie auf das Feld eines Mannes mit Namen Boas geht und dort die liegengebliebenen Ähren aufsammelt. Das Aufsammeln der liegengebliebenen Ähren war ein Recht der Armen. So sorgt Rut für den Lebensunterhalt der beiden Frauen.
Manchmal ist genau das wichtig: Das da jemand ist, der nicht viel redet, sondern einfach zupackt. Schwere Zeiten können lähmen. Ein Trauernder ist nach dem Tod eines lieben Menschen oft wie benommen, möchte nicht mehr aus dem Haus gehen, kann sich zu nichts motivieren. Oder auch ein Kranker ist nach einer schweren Diagnose oft nicht handlungs-fähig. Dann ist es gut, wenn eine Freundin oder ein Freund vorbeikommt und vielleicht nur etwas zu Essen kocht oder den Einkauf erledigt. Rut sorgt dafür, dass sie und Noomi zu essen haben.

Im Laufe der Geschichte wandelt sich dann etwas in Noomi: Ihre Starre löst sich langsam. Sie gewinnt ihr Vertrauen zurück. Wie und wann ihr Vertrauen wieder da ist, nicht ersichtlich. Der Weg aus der Resignation, hier der Trauer, ist eher ein Prozess, der Zeit braucht.
Noomi beginnt auf einmal Pläne zu schmieden, Pläne für die Zukunft, für die von Rut, aber auch für ihre eigene. Das Feld, auf dem Rut nun regelmäßig die Ähren aufsammelt, gehört Boas und Boas ist ein entfernter Verwandter von Noomi. Als entfernter Verwandter wäre es seine Pflicht, Noomi und Rut zu unterstützen. Er müsste eigentlich den Besitz zurück-kaufen, den Noomis Mann einst verkauft hatte und er müsste auch Rut heiraten.
Noomi weiß das und nun sieht sie wieder eine Perspektive. Sie wird aktiv. Sie drängt Rut fast in die Arme von Boas, als sie merkt, dass Boas ein Mensch mit gutem Charakter ist.
Dem Boas war Rut sowieso schon positiv aufgefallen, als diese auf seinem Feld die Ähren aufsammelte. Auf Noomis Rat hin macht sich Rut schön und geht nachts heimlich zur Tenne, wo tagsüber das Korn gedroschen wird. Dort schlafen die Arbeiter alle nach getaner Arbeit, um das Getreide vor Diebstahl schützen zu können. Auch Boas schläft auf der Tenne. Rut soll sich nun nach Noomis Plan heimlich zu Boas legen und ihn, wenn er sie entdeckt, an seine Fürsorgepflicht erinnern.

Der Plan war ausgesprochen heikel für Rut, sie setzte ihren guten Ruf aufs Spiel, aber Noomi setzte einfach auf eine Liebesgeschichte mit Happy-End. Und ihr Plan geht tatsächlich auf. Rut und Boas finden Gefallen aneinander und heiraten. Boas sichert den Lebensunterhalt von Rut und auch von Noomi. Und am Ende bekommen Rut und Boas auch ein Kind. Für Noomi ist dieses Kind, nach damaligem Recht, ihr Enkelkind.

Die Frauen aus Bethlehem loben und danken Gott für das, was er an Noomi Gutes getan hat, dafür dass Noomi nun im Alter versorgt sein wird und er ihr noch ein Enkelkind geschenkt hat. Und dann sagen sie über Rut: „Deine Schwiegertochter, die dich geliebt hat, hat ihn geboren, die dir mehr wert ist als sieben Söhne.“ Das ist ein großes Kompliment für Rut, erst Recht in einer patriarchalen Gesellschaft. Rut ist für Noomi mehr wert als sieben Söhne.
Am Ende des Lebens von Noomi, das geprägt war durch viel Leid, steht Dankbarkeit, auch für die Freundschaft mit Rut. Am Ende ihres Lebens kann sich Noomi mit ihrem Leben – so wie es war – versöhnen.
Und sie findet wieder zurück an den Glauben an einen barmherzigen Gott, der es durch alle Krisen hindurch gut mit ihr meint. Zusammen mit den Frauen kann sie Gott wieder loben und ihm danken. Manchmal dauert es lange, bis der Schmerz der Dankbarkeit weicht.
Noomi merkt plötzlich: In der Freundschaft zu Rut hat sie Kraft und Halt bekommen und durch Rut durfte sie Gottes Hilfe erfahren. Wer hätte das gedacht, dass ihr eine Fremde, eine Ausländerin aus Moab, die den Gott Israels nicht kannte, dass ausgerechnet sie, ihr, Noomi, den Glauben an Gott wieder näher bringt.
Rut hat durch Noomi in Moab erst den Gott Israels kennengelernt. Aber im Laufe der Geschichte wird sie zu Gottes Botin für die verzweifelte Noomi. Durch Rut gewinnt Noomi wieder Hoffnung und neues Vertrauen auf ihren Gott.

Kommen wir zur Anfangsfrage zurück: Was macht uns stark und widerstandsfähig, auch Krisen und schwierige Situationen durchzustehen? Allgemeingültige Antworten für alle gibt es wohl nicht. Aber die Geschichte von Rut und Noomi kann unser Vertrauen stärken, dass Gott Wege und Möglichkeiten aus Krisen aufzeigen kann, mit denen ich nicht gerechnet habe.
Und die Geschichte öffnet unsere Augen für den Wert einer guten Freundschaft. Freunde erkennen wir daran, dass sie zu uns halten und zu uns stehen. So zeigen sie uns durch ihre Freundschaft auch, dass Gott immer zu uns steht und uns durch die Krisen hindurch begleitet. Amen.

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