Archiv September 2021


gesammelte Beiträge von September aus Corona-Zeiten 2021:


14. Sonntag nach Trinitatis
15. Sonntag nach Trinitatis
16. Sonntag nach Trinitatis
17. Sonntag nach Trinitatis


14. Sonntag nach Trinitatis

(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß.)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,
was haben Sie eben gedacht, als Sie den Predigttext gehört haben? „Endlich mal einer, der uns sagt, wie wir als Christen leben sollen!“ oder eher: „Ach du meine Güte; schon wieder so viele Ermahnungen und gute Ratschläge, die einem das Leben schwer machen!“?

Wieso schreibt Paulus diese vielen Ermahnungen und Richtlinien? Hat die Gemeinde nicht funktioniert? Musste sie auf den rechten Weg gewiesen werden?

Weit gefehlt! Die Gemeinde in Saloniki war sogar so etwas wie eine „Mustergemeinde“. Soweit wir wissen, war sie die erste Gemeinde, die Paulus auf einer seiner Missionsreisen gegründet hat.

Die Gemeinde besteht offensichtlich zum Zeitpunkt des Briefes noch nicht lange. Paulus schreibt am Anfang, er sei erst eine „kurze Frist“ von ihr getrennt. Es wird vermutlich ein paar Wochen her sein, dass er von dort fort musste. Sein Aufenthalt in Thessalonich war wohl der Gründungsaufenthalt. Timotheus, der bei der Gründung der Gemeinde mit dabei war, hat ihm von Fortgang der Geschehnisse berichtet.

Es hat sich in der christlichen Welt schnell herumgesprochen, was sich in dieser Hafenstadt im Norden Griechenlands zugetragen hat. Das Wort Gottes fiel in relativ kurzer Zeit auf fruchtbaren Boden und fand schnell Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich davon ergreifen ließen.
Die Zeit, die Boten des Evangeliums in der Gemeinde verbrachten, muss aber lange genug gewesen sein, um eine lebensfähige Gemeinde zu gründen, wie klein wir sie uns auch immer denken mögen. Der Brief setzt zumindest ihre Unterrichtung in wichtigen Glaubensfragen voraus.

Überwiegend waren sie so genannte Heiden, also keine Juden, die sich zum auserwählten Volk zählen dürfen. Sie haben sich von ihren alten Göttern abgewandt und zum Vater Jesu Christi als ihrem einen und einzigen Gott hingewendet.
Von da an fanden sie rasch zu einer neuen Gemeinde zusammen. Durch die Art, wie sie das Evangelium angenommen haben, sind die Gemeindeglieder Vorbild geworden für alle Glaubenden in ganz Griechenland.

Paulus schreibt nun an diese Gemeinde, um sie auf ihrem Weg zu bestärken. Er will nicht immer wieder und schon wieder etwas Neues von ihr. Am Schluss des Briefes fasst er sozusagen noch einmal zusammen, was er ihr in diesem Schreiben und auch vorher bei seinem Aufenthalt schon gepredigt hatte. In wenigen Worten spitzt er seine Lehre zu. Mit kurzen, prägnanten Sätzen gibt er noch einmal die Richtung vor, in die es weitergehen soll. Das ist ganz wichtig für eine Gemeinde, die sich erst vor kurzem zusammengefunden hat. Es vergewissert sie, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Die Thessalonicher hatten in ihren Zusammenkünften noch Zeit für Pausen und Gespräche über das Geschriebene. Sie konnten sich ausführlich Gedanken darüber machen, was die Anregungen von Paulus für ihre Gemeinde konkret bedeuten. So konnten sie schon beim Lesen des Briefes aufgreifen, was Paulus ihnen ans Herz legt: Prüft alles, und das Gute behaltet.

Paulus ermuntert die Gemeinde in ihrer Fröhlichkeit. Sie dürfen sich darüber freuen, dass ihr Leben mit dem Glauben an JX eine feste Wurzel gefunden hat. Standhaft können sie darauf aufbauen. Diese Wurzel ermöglicht ihnen ein Grundvertrauen in das neue Leben. Da spielt es dann keine Rolle, dass sie vielleicht nur wenige sind. Sie können getrost darüber weghören, wenn die anderen sie ob ihres neuen Glaubens vielleicht nicht ganz ernstnehmen oder belächeln.
Denn sie wissen: Im Gebet können sie sich immer wieder an Gott wenden. Sie können mit ihm von Du zu Du sprechen. Sie waren sicher: „Gott hört unser Gebet auf jeden Fall, auch wenn wir nicht immer sofort seine Antwort vernehmen.“
Das ist aller Grund zur Dankbarkeit. Gott wendet sich der Gemeinde zu und hört, wenn sie mit ihm Kontakt aufnimmt. Die Glaubenden werden von Gott nicht alleingelassen.

Fröhlich sein, beten und danken. Das sind sozusagen die Grundbefindlichkeiten einer christlichen Gemeinde.

Sind diese Charakteristika für uns heute noch maßgebend? Stimmen sie für uns als Gemeinde hier in Diedelsheim/ Dürrenbüchig? Können wir heute noch so unbekümmert fröhlich sein, unbedarft beten und danken?

Von dem bekannten Philosophen Friedrich Nietzsche ist das Wort überliefert: ‘Wenn die Christen wirklich an ihre so genannte „Frohe Botschaft“ glauben würden, müssten sie eigentlich viel fröhlicher dreinschauen.’
Versetzen wir uns jetzt einmal in die Situation der Gemeinde von Saloniki!

Wir haben gerade den Brief von Paulus bekommen.
Er schreibt darin unter anderem:
Seid allezeit fröhlich.
Betet ohne Unterlass.
Seid dankbar in allen Dingen.
Denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an Euch.

Denken Sie (später) bitte über diese drei Verse aus dem Predigttext nach. Was hat Sie in der letzten Woche fröhlich gestimmt?
Wofür möchten Sie beten?!
Für was können Sie dankbar sein?!

Wir haben eben drei Verse aus dem Predigttext herausgegriffen. Meiner Meinung nach ist darin sehr schön gebündelt, was Paulus in den anderen Versen ausführt:

Die weiteren Ermahnungen sind eher ‚Ausführungsbestimmungen‘, die das Gesagte erläutern.

Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen alle.

So stellt Paulus sich seine Gemeinde vor. Alle haben darin ihren Platz. Alle unterstützen sich gegenseitig. „Prüft aber alles, und das Gute behaltet“.

Sie machen sich gegenseitig auch auf Fehler aufmerksam. Sie tun das in dem Wissen, dass niemand von ihnen die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Es gibt nicht eine Person, die alles weiß, und die anderen sind alle doof.

Seht zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.

Das Verhalten in der Gemeinde soll also auch nach außen getragen werden. Die Maßstäbe sollen auch den Menschen außerhalb der Gemeinde zugute kommen.

Alle können etwas zum Gemeindeleben beitragen. Und wenn es nur das ist, dass sie da sind, hören, mitdenken, singen und beten.

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn JX.

Amen.
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15. Sonntag nach Trinitatis

(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß.)
Einfach glauben | 15. Sonntag nach Trinitatis | 12.09.2021 | Predigt zu Lukas 17, 5-6 | verfasst von Udo Schmitt | gekürzt und leicht verändert von Rolf Weiß

1. Früher war alles besser – Teil 1: Kindlicher Glaube
„Ich habe meine Großmutter immer bewundert“, erzählte eine Frau mittleren Alters, „ich habe sie für ihren Glauben bewundert; sie war sich so sicher, dass sie ihren Mann und alle anderen einmal wieder sieht, das war für sie völlig klar und gar keine Frage. Ich wünschte manchmal, ich hätte etwas von diesem Glauben und dieser Stärke abbekommen. Damals hat man noch an Gott geglaubt“, sagte sie.
Früher, ja früher. Früher war alles besser. Da waren die Kirchen voll. Heute ist nicht mehr viel los mit Christentum und Glauben. Kommt ihnen der Gedanke irgendwie vertraut vor? Die Sehnsucht nach einer längst vergangenen Zeit, in der alles irgendwie einfacher war, einleuchtender und klarer. So wie zu Kindertagen.
„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder…“, hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt. Als diese ihn fragten, wer der Größte ist im Himmelreich, da rief er ein Kind herbei, stellte es mitten unter sie und sagte: „Wahrlich, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Matthäus 18,1-3). An Gott glauben, heißt demnach, sich etwas von dem kindlichen Urvertrauen zu bewahren. Oder es wieder zu finden. Das Gefühl und die Gewissheit, dass, auch wenn ich nicht allen Fragen und Antworten kenne, dass ich doch darauf vertrauen kann, dass ich ein Kind Gottes bin und er der liebende Vater, der es gut mit uns meint.

2. Früher war alles besser – Teil 2: Apostolischer Glaubensmut
Die Sehnsucht nach einer längst vergangenen Zeit, in der alles irgendwie einfacher, einleuchtender und klarer war, ist nicht neu. Sie begegnet im Laufe der Geschichte immer wieder. Gerade in Zeiten mit großen Veränderungen wünschen sich Menschen, sie könnten wieder zurückkehren zu den einfachen Anfängen. „Zurück zu den Ursprüngen“ riefen schon die Gelehrten am Ende des Mittelalters. Ebenso die Reformatoren, sie verwarfen die „dekadente Papstkirche“ und knüpften wieder bei dem an, was Jesus und seine Jünger selbst gesagt hatten. Zurück zu den Ursprüngen und zur wahren Lehre. Die evangelischen Kirchen entstanden.

Doch die Welt drehte sich weiter und ein Jahrhundert später beschrieben Pietisten die Geschichte der Kirche erneut als eine Geschichte des Verfalls (Gottfried Arnold) und sehnten sich nach der „wahren Gemeine“, nach einer Gemeinschaft, die wieder einfach lebt. Einfach so wie die Apostel damals. So soll es wieder sein: „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen“, dichtete dazu Karl Heinrich von Bogatzky (EG 241) und rühmt der Apostel Wachsamkeit und Heldenmut.

Wiederum ein Jahrhundert später, wir sind mittlerweile in der Zeit der Romantik, als die ersten Eisenbahnen fuhren, da dichtete Philipp Spitta: „Komm zu uns, werter Tröster, und mach uns unverzagt. Gib uns in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit die scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit“ (EG 136). Die Sehnsucht nach dem Ursprung.

Damals, ja damals, da glaubten sie noch wirklich. Wir heute hingegen leben ängstlich und gebeugt in einer schlaffen, schwachen, armen Zeit. Damals war der Glaube groß, heute sind wir ganz klein.

So heißt es seitdem immer wieder. Wobei das, was an der Urgemeinde so fasziniert und vorbildlich erscheint, sehr verschieden ausfallen kann, je nach Mode und Couleur. Die einen rühmen die Einheitlichkeit, die brüderliche Eintracht und das Fehlen von Streit. Die anderen loben Bruderliebe und Diakonie, die Gütergemeinschaft und die Armenpflege. Manch einer suchte in ihr sogar so etwas wie eine kommunistische Urgesellschaft (Karl Kautsky, 1908). Andere wiederum loben die missionarische Tätigkeit, die Verbindung von Lehre und Leben bei Paulus, und die Inkulturation als Beispiel dafür, wie man auch heute das Evangelium ausbreiten solle.

Die Sehnsucht nach dem Einfachen und Ursprünglichen gibt es bis heute. Gerade in Zeiten, die sich so rasant verändern wie die unsrige. Die Welt, in der wir leben, wird uns fremd. Noch während wir sie erleben, wird sie unübersichtlich.
Gerade in solchen Zeiten sehnt man sich zurück nach einem einfachen Leben.

4. Die Urgemeinde – ein romantischer Mythos
Aber, mit Verlaub, war früher wirklich alles besser? Also mal davon abgesehen, dass ich selbst jünger war und mir alles leichter fiel. Das wohl. Aber war die Zeit wirklich besser? Und war es damals einfacher und sorgenfreier zu leben? Wirklich? Oder wenigstens leichter zu glauben? Ich habe da so meine Zweifel. Und möchte auch nicht unbedingt tauschen. Nicht mit einem Erwachsenen von damals und nicht mit einem Kind von heute.

Auch die Urgemeinde ist eher eine romantische Idee, die Sehnsucht nach einer perfekten Anfangszeit. Natürlich war auch schon die erste Christenheit nicht in allem einig. Gerade Paulus zeugt davon in seinen Schriften, wie viel Streit und Parteienzwist es auch schon in den ersten Gemeinden gab.

Und die Furchtlosigkeit und den hohen, heldenhaften Glaubensmut kann ich bei den Aposteln auch nicht durchgängig erkennen. Immer wieder schimpft Jesus mit seinen Jüngern, nennt sie furchtsam und kleingläubig. Als die Apostel, so steht es hier bei Lukas, ihn einmal bitten, er möge ihren Glauben doch vermehren und vergrößern, da sagt er ihnen: „Wenn ihr nur Glauben habt, so groß wie ein Senfkorn, reicht das schon, denn „dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.“ Glaube versetzt Berge, sagt man.

5. Ein kleiner Glaube
Es braucht nicht viel, sagt Jesus zu ihnen – und zu uns. Wenn euer Glaube nur so groß ist wie – sagen wir – ein Senfkorn, also winzig, gerade noch sichtbar und kaum der Rede wert, dann reicht das vollkommen. Ihr braucht nicht viel glauben. Ihr braucht nicht vollkommen und perfekt glauben. Glaube klein wie ein Senfkorn: Das ist schon ein Anfang. Und es reicht vollkommen, um viel zu bewegen – Großes zu bewegen und Festes.

Ein Maulbeerbaum steht – so hörte ich – an seinem Platz bis zu 600 Jahre lang. Seine Wurzeln sind alt und sie reichen tief. Ein Maulbeerbaum – so dachte ich – ist wie eine schlechte Angewohnheit, eine fest gefügte und stark verkrustete Struktur, ist wie ein Fleck der nicht weg geht. Was kann ich da schon tun. Ich bin doch so klein.

Doch, sagt Jesus, mach dich nicht kleiner als du bist. Sei nicht so kleingläubig. Doch, du kannst, du kannst etwas bewegen in deinem Leben, ein kleiner Glaube, ein bisschen Glaube nur, ein kleiner Fussel Glaube nur, ein Fingerhut voll, und du schaffst das Allergrößte, Allerschwerste und vielleicht sogar das Allerunwahrscheinlichste: Du kannst über deinen eigenen Schatten springen. Deine vorgefassten Urteile überwinden. Auch die über dich selbst. Und einfach glauben. Einfach glauben.
Amen.

Ursprung: Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.
Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)
udo.schmitt@ekir.de
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16. Sonntag nach Trinitatis

(Den Gottesdienst hält Pfarrer i.R. Erhard Schulz. Predigttext: Klgl. 3, 22-26 und 31-32))

Sing mir das Leben vom Leben: vom unermesslich weiten Herzen Gottes

Eingangsgebet

Herr unser Gott, Vater unseres Herrn Jesus Christus,

wir kommen Zu Dir, weil Du uns geschaffen, zum Leben bestimmt hast und zur Gemeinschaft mit Dir und miteinander. Wir wollen nicht vergessen, was Du uns Gutes getan hast. Wir loben und preisen Dich und feiern Deine Gegenwart an Deinem Tag.

Wir kommen aber auch zu Dir, weil wir oft ratlos sind und nicht weiterwissen. Oft kommen wir uns vor wie mittendrin in einem Tunnel, ohne das Licht am Ende zu sehen. Wie oft sind wir fixiert sind auf die gegenwärtige Not und wie wenig trauen wir der Allmacht Deiner Liebe zu. Wie sehr sind wir besorgt um uns selber und wie leicht kommt uns der Blick abhanden für die Not anderer. Schenk uns auch in diesem Gottesdienst den Blickwechsel weg von uns selbst und hin zu Dir und zu den Menschen, die Du genauso liebhast wie jeden einzelnen von uns. Lass uns nicht los und halte uns zusammen in Dir.
Amen.

Schriftlesung: Luk. 7, 11 – 16

Liebe Gemeinde!
„Spiel mir das Lied vom….“ (Erraten!) Doch halt, stopp, heute wollen wir keine Lieder vom Tod singen oder spielen. Nicht vom Tod, sondern vom Leben will ich singen und vom lebendigen Gott, der das Leben selber in Person und Hingabe, die frische Quelle allen Lebens ist. Singen bitte nicht wörtlich verstanden, keine Angst, sondern symbolisch. Darum soll es heute gehen: Sing mir das Lied vom Leben: vom unermesslich weiten Herzen Gottes.

Oh wie gern würde ich das auch haben, ein weites Herz oder nur ein klein bisschen von diesem weiten Herz Gottes, das versteht, mitfühlt, sich in den andern hineinversetzt, für so vieles und so viele in seinem/ihrem Herzen Platz hat, das liebt, einfach irgendwo anfängt zu lieben und nicht mehr aufhört damit. Oh wie gern hätte ich das, oh wie oft fehlt es mir, wie schnell wird es eng in meinem Herzen. Von der Enge kommt die Angst, und umgekehrt. Kennst du auch die Erfahrung: Da kannst du ein Lied von singen, meist kein sehr schönes, ziemlich schrill? Da nervt dich der andere tierisch mit seinem Verhalten immer wieder. Das Klima im Betrieb, das permanente Mobbing, ist nicht auszuhalten. So manche Verhältnisse in der kleinen und großen Politik stinken zum Himmel. Da kannst du ein Lied von singen.

Ausgerechnet Klagelieder als Predigttext an dem Sonntag, auf den ich mich so sehr gefreut habe, gefreut, euch und Sie alle nach gewisser Zeit wiederzusehen. Sich verbunden wissen mit Geschwistern im Glauben, Menschen, für die ich gerne bete, in allen Gemeinden vergangenen Wirkens so wie an recht vielen Orten, letztlich weltweit. Da glauben, hoffen und versuchen Menschen zu lieben überall auf der ganzen Welt, so wie der Herr ihnen die Kraft dazu gibt. Ist das nicht ein Grund zur Freude, Lob- und Danklieder zu singen, und dass Du immer noch gesund bei körperlicher und geistiger Frische bist und noch manches bewegen kannst? Dass Du Gottes wunderschöne Welt genießen kannst. Frisch erholt nach einer Woche Traumurlaub am Gardasee darf ich heute so viele mir lieb gewordene Menschen wiedersehen. Da müsstest du ein ganz anderes Lied von singen: Lob- und Danklieder. Wohl viel zu selten. Ja, das ist wahr, darüber kann ich nur staunen: „Die Güte des Herrn…ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“

Doch es gibt die Situationen, jeder kennt sie, wo du sagst: da kannst du ein Lied von singen, wo Klagelieder wirklich dran sind. Viel Platz finden sie im Buch der Bücher und erst recht im weiten Herzen Gottes. Aber auch hier geht es um nichts anderes als: Sing mir das Lied vom Leben. Drei Strophen könnte es haben: Sing mir das Lied vom Leben:

     1) der auch in Abgründen zu uns steht
Abgründe bleiben wohl keinem Menschen, auch Gläubigen, auch dem Volk Gottes nicht erspart. Jerusalem und alles, was mal ihr Zuhause war, liegt in Trümmern, der Tempel, bislang sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes, wo Menschen Zuflucht und Zuspruch erfuhren, liegt in Schutt und Asche. Das Volk Gottes im Nerv seiner Existenz getroffen. In fünf Klageliedern, verteilt über die fünf Kapitel dieses Buches, schreit und klagt das Volk diese Not vor seinem Gott und vor jedem, der es hören will. Ob noch Menschen in der Gefangenschaft fern ihrer Heimat oder schon wieder heimgekehrt fassungslos vor den Trümmern der Verwüstung, sei dahingestellt. Sie machen keinen Hehl daraus: die Katastrophe ist Folge eigener menschlicher Schuld; zu Recht trifft uns das Gericht Gottes. Weil das Recht der Armen und Gerechtigkeit mit Füßen getreten wurde, andere Götter, die Wachstum, Profit, Erfolg, Sex versprochen haben, verehrt wurden und Menschen der Versuchung von Großmachtpolitik und Größenwahnsinn erlegen sind, deshalb ereilte uns dieses Gericht Gottes. Gericht Gottes: Gott überlässt uns den Folgen unseres Tuns. Nun können sie ein Lied davon singen: Klagelieder. Und gewiss zugleich Bußlieder.

Aktuell sind diese Klagelieder bis heute auch in Kunst und Kultur. Kein Geringerer als Leonard Bernstein hat in seiner 1. Symphonie „Jeremiah“ einige von Ihnen genial in Musik verwandelt, ebenso Igor Strawinski. Aus der Klage des Volkes Gottes könnte eine Menschheitsklage werden. Das Besondere am 3. Lied: jeweils drei Zeilen beginnen in Folge mit den Buchstaben des hebräischen Alphabeths. Das ganze Leben von A bis Z in dieser Menschheitsklage enthalten. Sie gehört zum A und O unseres Lebens.

Wir leben in einer gefallenen Schöpfung. An der Grundentscheidung des Menschen, ohne Gott zu leben und sein Leben nach eigenem Gutdünken in die Hand zu nehmen, haben wir alle schuldhaft Anteil. Jede schwere Krise macht uns das bewusst. Ob Krieg oder ein Terroranschlag, ob das C-Virus (wir können das Wort ja bald nicht mehr hören), das nicht nur so viele Menschen aus dem Leben gerissen hat, sondern unzählige Ältere elend vereinsamen ließ, oder die verheerenden Überschwemmungskatastrophen mit Ausmaßen an Zerstörung wie seit Kriegsende nicht mehr: Bedroht und angegriffen ist unser Leben, täglich unverdientes Geschenk Gottes. Gericht Gottes: Gott überlässt uns den Folgen unseres verheerenden Tuns. Wenn Menschen immer mehr in Ökosysteme der Tierwelt einbrechen, ein Übermaß an CO 2 ausstoßen, Flüsse begradigen oder vertiefen, Gene manipulieren, ungeborenes Leben töten, über lebenswertes Leben oder „weniger lebenswertes“ verfügen wollen ect., immer mehr in die guten Schöpfungsabsichten Gottes eingreifen, brauchen wir uns über die Folgen nicht zu wundern. Und diese trifft immer auch Unbeteiligte, die Armen am härtesten.

Das Besondere dieses dritten Klageliedes, dem auch unser Abschnitt zugrunde liegt, ist: Es nimmt den einzelnen Menschen in den Blick: Der Einzelne Leidende, der gemobbt, geschlagen, mit Füßen getreten, am Ende gar in die Schlammgrube geworfen wird. Nicht umsonst meinte man in der Auslegung den Propheten Jeremia selbst zu erkennen.

Nicht Feinde von außen, nein solche, die ich für Freunde hielt, die mir am nächsten zu stehen schienen, sie sind es, die ihm am ärgsten zusetzen. Wenn du, wie es uns derzeit ergangen ist, erleben musst, wie ein dir bisher liebster nahestehender Mensch, dem dein Herz gehört hat, dir auf einmal vollkommen fremd wird, dich beschimpft, beleidigt, bedroht und aufs Übelste verleumdet, dann fühlst du dich von Gott und aller Welt verlassen. Es bleiben dir im Gebet schier die Worte im Halse stecken. Auch der Beter dieses Klageliedes steckt da mittendrin. Und hinter allem Geschehen dieser Welt erkennt er Gott als den Handelnden. Immer wieder, unzählige Male taucht dieses „Er hat…“ auf: „Er hat meinen Weg vermauert…Er hat mich aufgelauert wie ein Bär….Er hat mir seine Pfeile in die Nieren geschossen…Er hat mich mit Bitterkeit getränkt“. Immer wieder Er hat Er hat. In den Abgründen meines Lebens ist ER mittendrin. ER hat nicht Urlaub gemacht. Wenn es ganz dunkel wird um mich, hält Er sich nicht heraus, sondern ist mittendrin. Und ich hoffe und glaube, dass Er in diesen Abgründen zu mir steht, und zu dir natürlich auch – um Jesu Christi willen, der am Kreuz selber in der Nacht der Gottverlassenheit zu seinem Vater schrie – stellvertretend für uns alle.

Und was so schön wäre, wenn wir mitten in den Geschenken und Schönheiten des Lebens auf der Höhe unserer körperlichen und geistigen Kräfte, wenn wir da unserem Gott unsere Lob- und Danklieder singen würden, deutlich hörbar auch für unsere Mitmenschen, nie vergessen, was Er uns Gutes getan hat, um auch in den Abgründen nicht zu verzweifeln, sondern an IHM uns festhalten, an IHM unseren Halt im Leben und im Sterben zu finden. Sing mir das Lied vom Leben, DEM, der auch in den Abgründen zu uns steht.

     2. DER uns von ganzem Herzen sucht und finden will
Also nicht: Spiel mir das Lied vom Tod. Wie in dem einschlägigen Film der geheimnisvolle Mann mit der Mundharmonika – immer wenn er auftaucht, gib es Tote – nicht eher Ruhe gibt, bis er den elenden Tod seines Bruders gerächt und die Schuldigen zur Strecke gebracht hat. Als Kind musste er Mundharmonika spielend diesen auf seinen Schultern stehend tragen, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach und der Bruder sich in die vorbereitete Schlinge erhängte. Unser Gott spielt nicht mit in der traurigen Disharmonie des Todes unserer gefallenen Welt und startet keinen Rachefeldzug gegen die, die ihm den Krieg erklärt haben, sondern beantwortet Hass mit Liebe und Vergebung und schenkt einen unerwartet neuen Anfang.

Er stimmt ein neues Lied des Lebens an und lädt uns ein, eine neue Harmonie, ein neues Lied des Lebens auf IHN einzustimmen, der uns von ganzem Herzen sucht und finden will. Das dürfen wir, sogar mitten in unseren Klageliedern: „Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Schon am Eingang haben wir gesungen: „All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad und große Treu.“ (EG 440,1) Darauf sollen und dürfen wir uns verlassen.

Wir sind noch nicht gar aus. Unser Gott macht uns nicht den Garaus, auch wenn wir es manchmal verdient hätten. Wie durch ein tägliches Wunder frisch und neu ist Seine Liebe und Treue, nicht nach Lust und Laune heute so und morgen so, sondern beständig, verlässlich, ewig. Seine Barmherzigkeit: hebräisch steckt da das Wort „Mutterleib“ drin. Gott ist wie eine heiß liebende Mutter. Von wegen die patriarchalische Bibel mit ihren männerfixierten Gottesbildern. Da braucht es keine „Bibel in gerechter Sprache“. Wie eine Mutter ihrem bald frisch zu gebärenden Kind untrennbar nahe ist, so untrennbar nahe ist ER uns und empfindet in jeder Nuance unseres Lebens, Freude, Schmerz, mit, wie es uns geht. Erst recht, indem er Mensch geworden ist in Jesus Christus. Sein großes Herz der Liebe (großes Herz) hat ER für uns geöffnet im Herz Seiner Liebe, seinen geliebten Sohn.

Dieser Gott, der uns von ganzem Herzen sucht, Er will nun auch von uns gesucht und geehrt sein. Deshalb lassen die Menschen, die diese Klagelieder auf ihren Lippen haben und immerhin auch ihre Schuld vor Gott bekannt haben, nicht ab von Gott, sondern rufen ihn an. Und auch unser Beter schreit seine Klagen nicht gegen die Wand, sondern wendet sich ganz bewusst an die Adresse seines Gottes und spricht ihn persönlich an. Lädt uns alle herzlich dazu ein und geht mit gutem Beispiel voran: „seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu….“ Und jetzt sagt er „Du“, sein Bekenntnis geht unmittelbar über ins Gebet: „und deine Treue ist groß.“ Dich, Herr, suche ich von ganzem Herzen. ER möchte so sehr, dass wir das auch tun. Dein und mein kleines Herz (kleines ausgeschnittenes Herz) darf im großen Herzen der Liebe Gottes Platz finden (das kleine Herz in das große Herz nahtlos einfügen) ER wartet auf dich und mich, dass wir IHM unser Herz öffnen, sprich: uns einladen und hineinnehmen lassen in Sein unermesslich weites Herz. Sing mir das Lied vom Leben, DEM

     3) DEN es in brennender Liebe zu uns zieht
Warum es so unermesslich viel Elend gibt auf dieser Welt und es Menschen so scheinbar ungerecht und willkürlich trifft und Gott das scheinbar so gewähren lässt, ich weiß es nicht. Auf dieser Erde werden wir es nie erfahren. Im Himmel ist das mal ganz anders. Soviel aber darf ich wissen und glauben: dass es unseren Gott in brennender Liebe zu uns zieht. „Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen.“

Der Teil, das ist im Glauben im alten Israel der Anteil am Land, am verheißenen Land Gottes, der jedem Stamm und jeder Familie von Gott her zukommt. Die Menschen in den Klageliedern haben ihren Anteil am gelobten Land Gottes verloren, wurden als Gefangene in die Fremde verschleppt; jetzt stehen die Heimkehrer vor den Trümmern. Und in dieser Situation spricht der Beter: „Der Herr ist mein Teil, darum will ich auf ihn hoffen.“ Du, Gott, bist mein Land und mein Grund, auf dem ich stehe und atme, mein rettendes Ufer, mein Zuhause. Was auch kommt, und das in Ewigkeit.

Denn Gott zieht es in brennender Liebe zu uns. Er zieht um vom Himmel auf die Erde zu uns Menschen. Jesus Christus hat seinen Himmel verlassen, um auf unserer dunklen Erde bei uns zu wohnen. Landlos, heimatlos, in einer Bruchbude geboren. Doch Er klopft an die Herzenstüre unseres Lebens und bittet uns herzlich, ihn einzulassen, ihm Unterkunft zu gewähren in unserem Herzen lebenslang. Und Er wird wiederkommen und einmal alle Tränen abwischen. Das macht Er sich zur Chefsache. Einen neuen Himmel und eine Erde wird er schaffen. Die auf IHN hoffen und Ihm vertrauen, werden auferstehen vom Tode: ein neuer frischer Leib, der nie mehr krank und vergeht. Du bist auf dem Höhepunkt deiner körperlichen und geistigen Kräfte.

Der Himmel ist so konkret und gegenständlich wie diese alte Erde. Wir geistern nicht als Seelenfunken herum. Flüsse, Seen und Berge: du erkennst die Hügel des Kraichgaus, die Alpen, den Bodensee. Und dass im Himmel gegessen, getrunken und gefeiert wird im Angesicht Jesu Christi, hat Er selber oft erzählt. Da kannst du unendlich viele Lieder davon singen, Lob- und Danklieder.

Amen

Fürbittgebet

Guter Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist,

wir wollen Dir unsere Lob- und Danklieder singen, dafür

  • Dass Du Deine Welt so wunderbar gemacht hast.
  • Dass jeder und jede mit seinen Gaben und Talenten Dir und den Menschen dienen kann.
  • Dass wir nicht nur in unserer Gemeinde, sondern weltweit mit so vielen Menschen, Geschwistern im Glauben, in Dir verbunden sein dürfen und Menschen sich für dich und die Gemeinde einsetzen.
  • Dass es auch in den Gruppen und Vereinen unseres Ortes immer wieder Menschen gibt, die sich für das Gemeinwohl, für kulturelles Leben und für andere Menschen engagieren.
  • Dass wir auch im persönlichen Leben nicht allein sind, sondern Menschen um uns haben, die uns guttun, uns trösten und bestehen.

Wir wollen Dir auch unsere Klagelieder bringen, für Menschen und eine Welt am Rande des Abgrundes

  • Für alle Schwerkranken, nicht nur Corona, die manchmal keine Hoffnung mehr haben, dass sich für sie Wege der Heilung eröffnen, dass sie in Dir Trost und Beistand erfahren im Leben, und wenn es sein muss, im Sterben.
  • Für alle Schwestern, Pfleger, Ärzte, die immer noch gern ihren Beruf ausüben, um viel Kraft und Weisheit, Liebe und Hingabe für die ihnen anvertrauten Menschen und endlich um die längst fällige Wertschätzung.
  • Für alle auf der Flucht, auf lebensgefährlichen Wegen, in menschenunwürdigen Lagern, dass sie aus der tödlichen Gefahr herauskommen, endlich irgendwo ankommen, Heimat und Zuhause finden, offene Türen und Herzen auch bei uns.
  • Für alle Einsamen, Verzweifelten, Suchtabhängigen, Erwerbslosen, dass sie wieder Sinn und Halt in ihrem Leben finden und Aufgaben, die sie erfüllen.
  • Für unsere Ehen und Familien, besonders da, wo es kriselt, dass sich Eheleute, Eltern und Kinder aussprechen, entgegenkommen und neu lernen, sich wertzuschätzen und zu lieben.

Dir sei Ehre, Lob und Preis in Ewigkeit

(Stilles Gebet, Vaterunser)

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17. Sonntag nach Trinitatis

(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß. Der Predigttext: Römer 10, 9-17)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

9 Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.
10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.
11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.«
12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.
13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5).
14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Predigerin und Prediger?
15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!«
16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?«
17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.

Liebe Gemeinde,
Immer wieder staune ich, was für ein Menschenkenner der Apostel Paulus vor gut 2000 Jahren war. Gleich im ersten Satz unseres heutigen Predigttextes beweist er das:

Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.

Zweier Eigenschaften bedarf es in der Bindung an Jesus Christus, den Auferstandenen, der den Tod überwunden hat: von Herzen glauben und mit dem Mund bekennen.

Das führt zum inneren Gleichgewicht und zur Rettung über den Tod hinaus. Der Glauben muss im Herzen verankert sein, und man muss darüber reden, sich dazu bekennen. Dann ist man „gerettet“, und der Glauben hat Wirkung bei anderen Menschen, in der Kirche und in der Gesellschaft. Dann wird man zum „Influencer“ zur „Influencerin“. Sie sagen und leben praxisnah das Evangelium weiter.

Aber wie kommt man zum Glauben aus dem Herzen heraus? Dazu hat Paulus die passende Anweisung: Zum Glauben gehört erst einmal: hören, neugierig werden, sich einige Kenntnisse verschaffen, sozusagen das Herz anwärmen. Das geschieht durch die Predigt. Dieses Wort kommt aus dem Lateinischen (“praedicatio”) und bedeutet zu allererst: preisen, loben, danken und dann darüber hinaus: die herrlichen Werke Gottes aufzeigen, die Barmherzigkeit des Jesus Christus und sein Leben, Sterben und Auferstehen, seinen Geist erfahren und im Herzen bewegen. Predigt wirkt durch vielerlei Anstöße, durch gelungene Rede, durch den Religionsunterricht, durch Menschen, die einen ernst nehmen und fördern.

Denken Sie doch einmal: Wer hat Sie zum Glauben gebracht, wer war Ihre prägende Predigerin, wer war Ihnen Vorbild und hat Sie gefördert?

In der Tradition der orthodoxen Kirche lebt das Herzensgebet, die ständig wiederholte Bitte: Herr Jesus Christus, erbarme Dich, Kyrie eleison. Damit kann man versuchen, das Beten und Glauben aus dem Herzen zu lernen und entsprechend zu beten.

Die Voraussetzung dazu haben wir alle bekommen: Wir sind getauft. Und damit ist jeder Christ, jede Christin angesprochen. Als Getaufte sind wir zum Glauben und zum Bekennen ermutigt, ja beauftragt. Beides gehört zusammen. Es gehört zu unserer Sendung, zu der wir alle berufen sind. Wir können alle „Influencer“ werden.

Religion und Glaube werden heute mancherorts gern in den privaten Bereich abgedrängt, sie sollen gesellschaftlich nicht im Vordergrund stehen. Aber damit kann es doch nicht genug sein! Der Glaube drängt zum Reden, zum Bekennen, zum Begeistern und dazu, die Gesellschaft mit zu prägen. Viele glauben, dass wir in einer säkularen Welt leben, die sich nicht durch Religion steuern lassen will.

Aber warum denn nicht? Ohne einen vernünftigen Glauben stehen manche in der Gefahr, skurrilen Extremen aus Verschwörungstheorien, Esoterik oder Okkultismus anheim zu fallen.

Eine Untersuchung gesellschaftlicher Impulse zeigt, dass über Jahrhunderte fast alle Anstöße zur Ethik, zu den Menschenrechten, zur sozialen Marktwirtschaft aus dem christlichen Hintergrund, den Gedanken der Menschenwürde und der Nächstenliebe entstanden sind. Weil Gott alle Menschen liebt, sollen alle Menschen gleich behandelt und ihre soziale Lage verbessert werden. Die säkulare Gesellschaft lebt von den christlichen Impulsen.

Innerlich bewegt durch den Glauben an Jesus Christus, an den Gott der Schöpfung und an den Heiligen Geist, der alles durchwirkt, entstand und entsteht eine fromme Lebenshaltung, die uns auch heute direkt oder indirekt prägt.

Heute ist ein besonderer Sonntag, heute ist in Deutschland die Wahl zum Bundestag anberaumt. Heute haben wir die Chance, unsere ethische Prägung in eine politische Entscheidung einfließen zu lassen. Wir können wählen aus unserer Grundüberzeugung heraus.

Die Bundestagswahl wird hoffentlich auch ein beredtes Zeugnis der christlich- ethischen Prägung unserer Gesellschaft abgeben und eine Richtung vorgeben, durch die unser Planet bewahrt und unsere Gesellschaft menschlicher wird.

Umso wichtiger ist, dass wir Christen unsere Stimme erheben und uns mit unserem Glauben zu einer menschenwürdigen Gesellschaft bekennen, die keinen ausschließt. Den globalen Aspekt der Botschaft Jesu hat Paulus ja schon erkannt und beschrieben:

„Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. Denn wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“.

Paulus ging es damals darum, Juden und Heiden für den christlichen Glauben zu gewinnen. Heute ist die Aufgabe der Mission wieder aus anderen Gründen gegeben. Das zeigt auch der letzte Vers unseres Predigttextes:

Paulus fragt: Haben sie die Stimme Gottes nicht gehört? Sie ist ja in alle Lande ausgegangen, ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt.

Fazit: Wir Christen sind getauft und leben vom Glauben und vom Bekennen, von den Ereignissen um Jesus Christus, der Verkündigung, die draus folgt und den Erlebnissen vom Hören und Annehmen der Botschaft.

Wenn man junge Erwachsene fragt: „Was war denn ein tiefes den Glauben und Eure Einstellung prägendes Erlebnis mit der Kirche in eurem Leben?“ Dann antworten viele junge Erwachsene: „Es war die Konfirmandenzeit und die feierliche Konfirmation, eigentlich die persönliche Zustimmung zu Taufe und Glauben.“ Es erstaunt mich nicht nur immer wieder, dass diese Erfahrung so tiefe Spuren hinterlassen hat. Es stimmt mich dankbar.

Und so habe ich von den Jugendlichen immer wieder gelernt, diese Rituale und die persönlichen Beziehungen ernst zu nehmen. Gottesdienst ist solch ein prägendes Ritual, die Sakramente gehören dazu, die bewegenden Feiern der Taufe, der Konfirmation, der Heirat und die christliche Beisetzung. Dabei lerne ich immer wieder meinen Glauben und meine Bibel als Lebenshilfe zu schätzen.

Damit verankern wir uns in einer Glaubenswelt, die jenseits von Leid, Krankheit und Tod versucht, in Gott zu ruhen, ihm zu vertrauen, ihn zu preisen, ihn anzurufen, wie es die Lieder der Psalmen immer wieder tun. Sie sind ein grandioses Kunstwerk der jüdischen Kultur, die wir Christen für unsere Erfahrungen mit Gott dankbar nutzen.

Folgen wir noch einmal dem Gedankengang des Paulus:
Glauben geht nicht ohne Hören, Hören geht nicht ohne Predigt, unterstützt von Religionsunterricht, Bibelarbeiten, ständiger Reflexion von aktuellem Erleben und den biblischen Impulsen z. B. durch die Tageslosung.

Predigt, Unterricht und Bildung, das geht nicht ohne Berufung und damit Sendung. Sendung heißt: durch die Taufe in Gott eingebettet, von ihm beauftragt, durch die Gemeinde und die Kirche mit ihren Bildungsangeboten und ihren Ritualen unterstützt und bestätigt. Damit sind wir gut ausgerüstet als Influencerinnen und Influencer im Auftrag Gottes.

Amen.

(Grundlage: Paul Geiß)
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