gesammelte Beiträge von Oktober aus Corona-Zeiten 2021:
18. So. nach Trinitatis/Erntedank
19. Sonntag nach Trinitatis
20. Sonntag nach Trinitatis
21. Sonntag nach Trinitatis
Reformationstag
18. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß.)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
‘… und nun die Abkündigungen…’
Stutz.
„Ist heute denn alles durcheinander?“, werden Sie vielleicht fragen. „Wir hatten doch noch gar keine Predigt.“
Sie haben natürlich Recht. Aber für diese Änderung kann ich nun wirklich nichts. Unser heutiger Predigttext ist tatsächlich etwas, was in den Gottesdiensten sonst als Teil der Abkündigungen auftaucht. Genauer gesagt: Es ist die Kollektenabkündigung.
Die Gemeinde in Jerusalem ist nämlich arm. Zwar müssen sie kein Personal bezahlen und auch keine Kirche oder ein Gemeindehaus unterhalten. Aber die vielen Gäste aus anderen Gemeinden wollen bewirtet sein, und das geht über ihre finanzielle Kraft.
Darum veranstaltet Paulus eine Sammlung für die Jerusalemer Gemeinde. Mancheiner von Ihnen wird jetzt vielleicht amüsiert lächeln und denken: „Also war von Anfang an das knappe Geld in der Kirche ein wichtiges Thema!“
Nun. In gewisser Weise stimmt das. Aber die Kollektenwerbung von Paulus bei der Gemeinde in Korinth hat es in sich. Sie ist nämlich nicht nur plakativ, wie sich das die Werbemangaer heutzutage vorstellen. Kein normales Fundraising. Sondern sie entfaltet theologischen Tiefgang: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“
Das Geben und die Liebe Gottes werden in einen direkten Zusammenhang zueinander gesetzt.
Im Sinne des Apostels Paulus geht das sogar noch einen Schritt weiter. Sie als Geber*innen sind regelrecht Glückspilze. Darum beglückwünsche ich Sie heute:
Mit Ihrer Gabe tragen Sie nicht nur heute dazu bei, dass es anderen Menschen ein wenig besser geht. Denn Sie lindern dadurch nicht nur deren materielle Not, sondern Sie tun auch etwas Geistliches. Sie sorgen nämlich dafür, dass andere Menschen etwas zum Danken haben. Und so tragen Sie dazu bei, dass das Lob Gottes in dieser Welt vermehrt wird.
Dieser Gedanke trägt für uns heute vielleicht etwas Zwiespältiges in sich, ist aber ziemlich sicher von Paulus nicht doppeldeutig gemeint.
Glückwunsch an Sie auch, weil sie mit Ihrer Gabe anderen Menschen zeigen: „Wir haben euch nicht vergessen. Auch wenn wir euch nicht kennen: Wir haben von euren Schwierigkeiten und eurer Not gehört. Weil wir uns ein wenig vorstellen können, wie es euch geht, und weil wir wissen, mit Geld können wir euch helfen, darum geben wir von dem, was wir haben, ab.“
Sie machen damit deutlidch: Die Christen sehen über den Zaun ihrer eigenen Gemeinde hinaus. Sie wissen: Alle gehören zusammen – auch die, die ganz weit weg sind, und die uns vielleicht sogar fremd erscheinen. Auch sie sind wie wir ein Teil der großen Gemeinde Christi.
Paulus redet an anderer Stelle davon, dass alle Christ*innen den sichtbaren Körper Christi bilden, und darum kann es nicht gehen, dass ein Teil leidet und die anderen Körperteile sind davon nicht betroffen.
Und drittens kann ich Sie beglückwünschen, weil Sie deutlich machen: Dank an Gott, nicht nur heute an Erntedank, das ist mehr als ein Lippenbeknnetnis.
Allen von uns ist klar: Nicht alles, was wir haben und worüber wir verfügen können, ist uns aus eigener Kraft erwachsen. Nicht alles entspringt unserer eigenen Leistung und dem, was wir selbst bewerkstelligt haben.
Daraus ergibt sich aber trotzdem noch nicht ganz selbstverständlich ein fröhliches Abgeben. Aber genau das will Paulus uns ans Herz legen: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
Das klingt gut und einleuchtend. Aber wie werden wir zu fröhlichen Gebern? Die Antwort von Paulus ist einfach: Fröhliche Geber*innen werdet ihr, wenn ihr euch gleichzeitig als Empfänger*innen versteht. Wenn ihr begreift, dass Gott euch ebenso reich beschenkt, so dass ihr eben nicht nur genug für euch habt, sondern auch abgeben könnt.
Fröhlich: Ich denke, das können wir wirklich sein. Wir werden auch weiter nicht Hunger leiden müssen, sondern genug zu essen haben, mehr als genug. Trotz aller wirtschaftlichen und sozialen Probleme gehört in unserem Land jeder zu den Reichen, gemessen an dem, was die allermeisten Menschen auf unserer Erde haben.
Und auch vieles in unserem Gottesdienst hier zeigt, dass wir uns nicht ausschließlich als erfolgreiche Macher, sondern als fröhliche Empfänger*innen verstehen: Da sind die Blumen, das Obst, das Brot auf dem Altar und so manche anderen Gaben: Zeichen, die deutlich machen, dass wir vor allem Tun und Machen Empfänger der Gaben Gottes sind. Und wir könnten diese Gaben vermehren: Eine Muschel vom Strand, an dem wir zum Urlaub waren, ein Bild von lachenden Kindern oder Enkeln, eine Karte mit kurzen Grüßen, die zeigt: „Ich denke an Dich!“
Ich glaube, jedem von Ihnen fallen noch andere Zeichen ein.die deutlich machen: Ich habe viel und Schönes empfangen. Und es tut gut, dass uns dieser Tag nun auch die Gelegenheit gibt, das auszudrücken: „Dankeschön!“
Wer sich von Herzen freut, kann auch für andere aus vollem Herzen und mit vollen Händen geben.
Dafür segne Sie Gott! Amen.
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19. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß. Predigttext: Jesaja 38, 9-20)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Gesundheit spielt in unserem Leben eine ganz große Rolle, nicht wahr?! Das war auch schon so, lange bevor wir auch nur irgendeine Vorstellung davon hatten, dass corona nicht nur ein lateinisches Wort ist, das wir gemeinhin mit ‚Krone’ übersetzen können.
Nein, ich denke einfach daran, wie oft wir uns nach unserem Befinden erkundigen: „Wie geht’s?“ Und gleich danach die Frage: „Alles gesund, auch die Kinder?“ Und dann entspinnen sich lange Erzählstränge – entweder freudige, wenn keine nennenswerte Krankheit zu vermelden ist. Oder wir sprechen nicht drüber. Denn es gibt natürlich auch immer wieder traurige Nachrichten kundzutun. Diese hören wir dann meistens nicht so gern.
Kein Wunder, dass einer der häufigsten Wünsche zum Geburtstag ist: „Gesundheit – das ist das Wichtigste!“
Die Gesundheit spielt offensichtlich seit Menschengedenken eine wichtige Rolle. Das führt uns der Predigttext für heute in besonderer Weise vor Augen. Wer sich die Verse in der Bibel ansieht, wird sich an einen Psalm erinnert fühlen. Das gibt es an anderen Stellen auch, zum Beispiel beim Profeten Jona. Da stehen mitten im Prosatext; mitten im Fluss der Erzählung dann Zeilen in Versform, die den Zusammenhang unterbrechen.
An dieser Präsentation wird auf jeden Fall schon eines deutlich: Hier geht es um etwas Besonderes. Hier wird von etwas erzählt, was den normalen Erzählstrang unterbrechen soll. Es wird an dieser Stelle ein Stilbruch nicht nur in Kauf genommen, sondern er ist sogar beabsichtigt.
So ein Lied, so ein Gebet lässt den Protagonisten ebenso wie die Leserschaft im Moment des Lesens oder beim Hören verharren. Allerdings passt dieser Abschnitt hier bei Jesaja nicht so ganz flüssig in den Textfluss. Die Erzählung ist nicht etwa an einem Tiefpunkt eingefügt, die nun solch eine Klage erwarten ließen.
Denn eigentlich ist mit dem Kapitel vorher die Erzählung um Hiskia, Jesaja und die assyrische Bedrohung bereits abgeschlossen. Die assyrische Belagerung Jerusalems durch den übermächtigen Großkönig Sanherib wurde wie durch ein Wunder bereits abgewehrt.
Weitgehend gegen die historischen Tatsachen wird dort davon berichtet, dass der Engel Gottes des Nachts durchs Lager der Assyrer zog und diese vollständig vernichtete. Gott hatte Zion, den ‚Schemel seines Thrones‘, verteidigt, ganz so wie Jesaja dies angekündigt hatte.
Mit diesem Kap. 38 fällt die Erzählung allerdings noch einmal zurück in die Situation der Bedrohung: Die Leserschaft wird noch einmal dorthin geführt, wo Hiskia an seinem Tiefpunkt angekommen ist. Die Assyrer hatten die Bevölkerung aufgefordert, Hiskia die Gefolgschaft aufzukündigen und sich Assur zu unterwerfen.
Und da wird nun Hiskia schwer krank. Hier scheint ein persönliches, menschliches Problem in einen politischen Zusammenhang eingefügt.
Augenscheinlich zerbricht der beliebte König an der Hoffnungslosigkeit der Situation. Und was noch schlimmer ist: Gott scheint diesen Untergang zu besiegeln, indem er in 38,1 Hiskia den Tod ankündigt. Daraufhin betet Hiskia und wirft seine gesamte Frömmigkeit in die Wagschale. Das Gebet wird erhört und Hiskias Lebensfrist daraufhin verlängert. Der folgende Psalm wird nun als Hiskias Antwort auf diese Errettung eingeführt.
Hiskia steht eigentlich auf der Höhe des Lebens, nicht etwa alt und lebenssatt. Er will am Leben teilhaben. In der Vorstellungswelt der Psalmen ist Leben nicht nur eine natürliche oder soziale Art der Lebensäußerung. Vielmehr lebt der Mensch, solange und weil er von Gott beachtet wird.
Von Gott angesehen und gehört zu werden,
Gottes Aufmerksamkeit zu finden,
das sind die notwendigen Bedingungen allen Lebens. Das gilt innerhalb der Psalmen nicht nur für Menschen sondern für alle Geschöpfe.
In Jes. 38 ist die Endlichkeit des Lebens nicht das eigentliche Problem, sondern der vorzeitige Tod, der nur bedeuten kann, dass ein Mensch nicht mehr von Gott beachtet wird, oder, im schlimmsten Fall, sogar verstoßen sei.
Hier kommt mir Andreas in den Sinn. Vor 45 Jahren haben wir an der gleichen Schule das Abitur bestanden. Kommendes Wochenende hätten wir das feiern wollen. Nun lebt er nicht mehr. Vor drei Wochen ist er an Krebs gestorben.
Oder: Wenn wir an Pfr. Ehmann denken, wissen wir aus nächster Umgebung, dass Leben enden kann, bevor wir das erwartet hätten. Ein Blick in die Zeitung mit den Todesanzeigen bestätigt das auf traurige Weise. Immer wieder endet Leben „vor der Zeit“. Manchmal ganz jung. Dennoch sollten wir nicht von vornherein darauf schließen, diese Menschen seien von Gott verstoßen worden.
Gerade Hiskia gilt eigentlich als außerordentlicher Gerechter, der nach allen Maßstäben der Gerechtigkeit nicht verdient, was ihm widerfährt.
An diesem Textbeispiel scheiden sich die Geister: Wer inständig genug betet, wird gesund und gerettet. Oder noch schlimmer: wer krank ist, betet nicht genug.
Ich denke, wir dürfen beides nicht gegeneinander ausspielen: Es gibt eine Todesnähe, in die Menschen sich durchaus durch ihr Verhalten selbst bringen können.
Gleichzeitig haben wir nicht für alles eine (plausible) Erklärung.
Für uns alle gilt jedoch der Wochenspruch: Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.
Die Beziehung, die Gott schafft, endet nicht mit dem Tod. Diese Einsicht findet sich in der Gewissheit der Auferweckung der Toten, die das Judentum durch die Jahrhunderte prägte und prägt, und die uns im NT begegnet.
Zugleich liegt im Bekenntnis zur Auferweckung Jesu die Gewissheit, dass die Toten nicht tot bleiben, sondern in ihm und mit ihm leben.
Denn: „In ihm leben, weben und sind wir“ wie es in der Apg. heißt. Amen.
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20. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Weber. In diesem Gottesdienst werden die neuen Konfirmanden vorgestellt. – Die Predigt wurde uns nicht zur Verfügung gestellt.)
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21. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß. In diesem Gottesdienst wird die Leiterin unseres Kirchenchores verabschiedet.)
Predigttext: Matthäus 19, 34-39
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.
39 Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Wie mit einem Paukenschlag setzt Jesus hier zum Abschluss einer Rede an, die wir ‚Aussendungsrede’ nennen. Oder ist es eher ein Donnerschlag? Ein Donnerwetter aus dem Munde Jesu?
Wie soll man denn da Anhänger gewinnen? Motivierend ist das nicht gerade! Dabei geht es doch genau darum: Menschen in die Nachfolge hinaus schicken. Menschen auf die Suche nach Menschen aussenden. Sie fit machen für ihre künftige Aufgabe als Missionarinnen und Missionare. Die „Gute Nachricht“ sollen sie in die Welt hinaustragen. Anhänger gewinnen für die Sache Jesu.
Wenn wir jemanden für etwas gewinnen wollen, wenn wir jemanden in Dienst nehmen wollen, dann schmeicheln wir ihm doch eher, schmieren ihm Honig ums Maul. Wir beschreiben die Vorzüge der Aufgabe. Oder wir ködern mit Geld. ‘Kaufe zwei Paar Schuhe, bezahle nur eins.’
Warum nimmt Jesus hier kein Blatt vor den Mund? Wie kommt er dazu, so schonungsfrei loszupoltern? Auch Lukas überliefert diese Worte – allerdings in zwei Häppchen -, so dass wir davon ausgehen können, dass sie nicht einfach erfunden sind.
Wir kommen auch nicht weiter, wenn wir darauf Bezug nehmen, dass Jesus in diesem Kapitel hier zu den Zwölfen spricht, die er los schickt. Genaue Anweisung erteilt er, was sie in ihr Ränzlein schnüren dürfen, was mitnehmen und was nicht. Er lässt wissen, wo sie hingehen sollen und wohin nicht. In Acht nehmen sollen sie sich, und doch brauchen sie keine Angst haben.
Nein, es geht nicht nur um die zwölf namentlich genannten Jünger. Denn schließlich betrachten wir uns als Christinnen und Christen ja alle als seine Nachfolger. Also müssen hier wohl auch wir angesprochen sein.
Um was geht es also? „Die Jüngerschaft fordert letzte Hingabe. ‚Sich lossagen’ (…) gegenüber irdischer Ordnung ist nötig, wenn die höheren Werte des Gottesreiches auf dem Spiele stehen.
Ein unentschlossener, schwankender Jünger ist wie kraftlos gewordenes Salz, das unbrauchbar ist und dem man nicht die eigentliche Bestimmung wiedergeben kann.“
So fasst der Randkommentar in der (ehem.) Dürrenbüchiger Altarbibel diese Szene zusammen.
Als ich den Predigttext für die Vorbereitung zum ersten Mal wieder gelesen habe, da musste ich schon ordentlich schlucken. Sie wissen ja, dass ich mich an verschiedenen Stellen für den Frieden einsetze. Im November werden Sie wieder eingeladen zu Andachten im Rahmen der Friedensdekade.
Und dieses Engagement ruht unter anderem darin, dass ich als Folge der Versöhnung Gottes mit den Menschen in Jesus Christus die Verbreitung von Frieden und Gerechtigkeit für das biblische Grundanliegen schlechthin halte. Es ist unsere Aufgabe, dadurch in der Welt sichtbar zu machen, wie Gott sie sich vorgestellt hat.
Und dann lese ich hier, dass Jesus das Schwert bringt.
Erst der Zusammenhang macht deutlich, dass diese Klinge nicht als Instrument der Botschaft gedacht ist. Es geht nicht um so etwas wie einen „Heiligen Krieg“ oder etwas Ähnliches. Kein Krieg kann ‚heilig’ sein! Jesus benennt hier allerdings ganz offen und in ungewohnter Weise, was eine Entscheidung für ihn für Folgen haben kann. Denn nicht alles, was wir in seiner Nachfolge tun, wird Honigschlecken sein. Sondern diese Entscheidung kann durchaus Verfolgung und Hass nach sich ziehen.
„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“. Seit den Römern wird das Menschenbild aus dieser Sicht geprägt. Ganze Staatsphilosophien (Thomas Hobbes) bauen darauf auf. Und sie begründen damit, dass Waffen und Armeen gebraucht würden, um den Menschen vor anderen Menschen zu schützen. Letztlich steckt die Frage dahinter, ob die Menschen gut sind oder böse.
Dass Menschen untereinander zu Feinden werden können, lässt sich auf der Welt jeden Tag irgendwo anschaulich nachvollziehen. Schon die Profeten wussten davon.
Micha 7, 6 nennt die gleichen Zwistigkeiten innerhalb einer Familie als Grund zur Klage über die Verderbtheit der Menschen. Allerdings geht dort die Argumentation gerade anders herum: Weil die Menschen sich so zueinander verhalten, kann das nichts werden mit dem Frieden auf Erden.
Jesus stellt in seinen Worten vor Augen, dass nicht alle Menschen seine Lehre hören wollen. Sie werden die Jünger verfolgen und ihnen das Leben schwer machen. Bis in die Familien hinein kann dieser Zwist reichen.
Mit diesen Worten will Jesus die Menschen warnen, wenn sie meinten, der Weg mit ihm sei einfach. Ein Kirchenlied von Martin Gotthard Schneider aus den Sechziger Jahren bringt das schön zum Ausdruck: „Der Weg nach Jerusalem ist steil und mühsam und unbequem.“
Darum geht es in diesen Versen. Jesu Weg endet am Kreuz.
Richtet euch darauf ein, dass ihr euch auf nichts einrichten könnt.
Bisherige Ordnungen und Lebenszusammenhänge tragen nicht mehr.
Verlasst euch darum einzig auf mich.
Macht mich zum Mittelpunkt eures Lebens.
Und macht euch darauf gefasst, dass das nicht allen passt.
Christus als Lebensmitte. Das hat Martin Luther in der ersten seiner vier ‚evangelischen Wahrheiten’ benannt: Solus Christus. Allein Christus.
Gut, dass wir auf diesem Weg nicht allein sind.
Gut, dass wir einander haben.
Amen.“
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22. So. nach Trinitatis/Reformationstag
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß.)
Gnade sei mit euch…
Liebe Gemeinde!
Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
Wie mag das zu Luthers Zeiten auf die Menschen gewirkt haben, als sie diesen Text erstmals auf Deutsch vernehmen konnten? Sie, denen das Wort ‘Freiheit’ eher vom Freiherrn her geläufig war. Oder in seinem Gegenteil: Unfreiheit als Magd oder Knecht, als Gefangener oder Leibeigener. Selbst den Handwerkern in der Druckerei mag es da nicht viel besser gegangen sein. Martin Luther hat ja viele seiner Gedanken in Traktaten und Büchern niedergeschrieben und veröffentlicht. Auch sein Hauptwerk zur Freiheit.
Hören wir einmal hinein in so eine Druckerei damals:
Der Drucker hält die Seite in der Hand, liest, was gerade aus der Presse gekommen ist: „Siehst du, was da steht?“, jubelt er. Unüberhörbar. Alle schauen zu ihm… „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ „Hey, lies doch weiter“, meint einer seiner Knechte – „da steht noch mehr: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Oh, dieser Luther, nie kann er sich klar ausdrücken: ein freier Herr, ein dienstbarer Knecht? Und dies in einer Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520 zum ersten Mal erschienen. Was denn nun?
Schon bei Paulus war das nicht ganz einfach.
Es war gut 20 Jahre nach Jesu Auferstehung. Auf Reisen. Er sitzt da. Wieder einmal muss er einen Brief schreiben. Dieses Mal nach Galatien. Vor kurzem war er noch dort. Hat doch alles erklärt, hat gepredigt und diskutiert. Nun hört er schon wieder, dass dort Dinge geschehen, die ihm gar nicht gefallen. Er greift zur Feder und zum Pergament und schreibt:
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: … in Christus Jesus gilt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Zur Freiheit seid ihr berufen, liebe Schwestern und Brüder, ihr alle. – Freiheit, das einzige, was zählt.
Paulus spricht in seinem Brief von der Frage, ob man sich beschneiden lassen müsse, bevor man Christ*in wird. Dieses Problem hat schon ein paar Jahrzehnte später seine Dringlichkeit eingebüßt.
Aber das Stichwort „Freiheit“ hat immer aufhorchen lassen.
Und doch hat es noch viele Jahrhunderte gedauert, bis die Frage nach einer grundlegenden Freiheit im Lebensvollzug dann auch in der Kirche Fuß gefasst hat. Ganz wichtig war dafür, dass man den Bibeltext in seiner Landessprache zur Verfügung hatte. Hierfür gab es einen ganz wichtigen Vorgänger Luthers: den tschechischen Reformator Jan Hus.
Hus lebte gut einhundert Jahre vor Luther, 1370 bis 1415.
Hus predigte nicht lateinisch, sondern in der tschechischen Landessprache. Er erkannte die Unfehlbarkeit des Papstes nicht an und wandte sich gegen Kreuzzüge und Ablässe. Als Kritiker der katholischen Kirche und Reformator war Hus schließlich auf dem Konzil von Konstanz zum Tode verurteilt worden. Am 6. Juli 1415 wurde er verbrannt.
Luther schrieb gut hundert Jahre später, 1531: „Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängnis im Böhmerland schreibt: Sie werden jetzt eine Gans braten (denn Hus bedeutet auf Tschechisch „Gans”). Aber in hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören. Den
werden sie hören, das wird so sein, wenn Gott will.” Und noch einmal 10 Jahre später, 1541, bekräftigt Martin Luther, dass er Hus als seinen Vorläufer sieht.
Luther übernahm das Bild für sich selbst. Luther verstand sich als der singende Schwan, den Jan Hus angekündigt hatte. Richtig verbreitet wurde dieses Bild aber erst mit dem Tod Luthers.
Und so gibt es seit 1546 auf und in vielen lutherischen Kirchen einen Schwan zu sehen.
Um Freiheit haben viele Menschen gekämpft – in der Geschichte unseres Landes, in der Geschichte unseres Kontinents, in der Geschichte unserer Welt. Zur Freiheit hat uns Christus befreit, schreibt der Apostel Paulus – und es hat selbst nach Luther Jahrhunderte gebraucht, bis wir eine Ahnung davon bekommen hatten, was Freiheit eigentlich sein könnte.
Martin Luther hat entdeckt, wie wichtig Freiheit ist – in seiner kirchlichen Situation, in dem Streit mit den Mächtigen – und seine Freiheit auch missbraucht.
Das ist in den Jahren nach 1518 nicht besser geworden: Bauernkrieg, der 30jährige Krieg, Hexenverbrennungen – und auch Johannes Calvin ließ in Genf seine Gegner auf den Scheiterhaufen bringen.
Das Problem der Freiheit ist auch in den demokratischen Strömungen zu beobachten: Die Freiheit, für die die Studenten 1848 kämpften, galt eher den Gebildeten und Betuchten. Auf der Strecke blieb, wer nichts hatte und nichts wusste. Und die Freiheit der Revolutionen der vergangenen beiden Jahrhunderte fraßen schneller ihre Kinder, als die Revolutionäre es sich vorstellen konnte.
Liebe Gemeinde, liebe zur Freiheit Berufene, vielleicht irren auch wir uns – und spätere Generationen werden den Kopf schütteln darüber, welche Freiheiten, wir uns genommen haben: Freiheiten gegenüber Menschen, die zu uns gekommen sind, weil sie Schutz gesucht haben. Freiheiten gegenüber der Schöpfung Gottes, die wir ausbeuten und zerstören, Freiheiten gegenüber anderen Völkern, denen wir Waffen liefern, mit denen sie Kriege führen.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit, liebe Schwestern und Brüder. Zur Freiheit sind wir berufen. Mit allen, die an unserer Seite stehen.
Denen werden wir allen sagen: Seht her, das ist unser Glaube, unser Leben, unsere Hoffnung, unser Gebet – und wir handeln gemeinsam mit allen, die sich für die Freiheit einsetzen. Für die Freiheit, miteinander zu leben – egal wie unsere Hautfarbe ist, egal wie unser Essen schmeckt, egal wie wir uns kleiden.
Zur Freiheit sind wir befreit und berufen, liebe Schwestern und Brüder. Das heißt wir stehen gemeinsam ein für das Leben.
Freiheit heißt nichts anderes als: Wir übernehmen Verantwortung füreinander: Für den Bruder und die Schwester, für den Fremden und den Freund, für Frau und Mann, für Kinder allzumal und für alle, die unsere Kraft brauchen – „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst.“
Denn wir wissen: Zur Freiheit hat uns Christus befreit, liebe Schwestern und Brüder.
Amen.
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