gesammelte Beiträge von Juni und Juli aus Corona-Zeiten 2021:
9. Sonntag nach Trinitatis
10. Sonntag nach Trinitatis
11. Sonntag nach Trinitatis
12. Sonntag nach Trinitatis
13. Sonntag nach Trinitatis
9. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer i.R. Nasarek.)
Präludium
liturgischer Gruß
EG 451, 1-4
Votum – * Amen
Psalm 63, 2-9 (EG 732) – *Gloria patri
Kyriegebet
EG 290, 1
Tagesgebet – * Amen
EG 503, 1+2+8
Predigt zu Jh. 8, 3-11
Liebe Gemeinde, eine Szene, wie sie im Buche steht: aufgeregte Personen mit ihren Leidenschaften, handfeste Konflikte auf Leben und Tod und eine stille zurückhaltende Gestalt, die eine friedliche Lösung herbeizuführen versteht. Die Schuldige wird ermahnt, eine Hinrichtung verhindert, und die Selbstgerechten werden zum Schweigen gebracht. Wo also ist das Problem?
Bis heute ist umstritten, ob diese Szene wirklich in die hl. Schrift gehört. In wichtigen alten Handschriften des Johannes-Evangeliums fehlt dieser Abschnitt. Kirchenväter bis ins Mittelalter kennen ihn nicht. Und auch heute zweifelt mancher Ausleger daran, dass er überhaupt echtes Material aus der Überlieferung von Jesus enthält.
In der Mitte steht eine Frau. Sie tut nichts. Sie sagt nichts. Sie bewegt sich nicht mehr. Männer haben sie hergeschleppt. Ein Mann schickt sie am Ende nach Hause. Ihre unerhörte Passivität hängt mit einem banalen Vorfall zusammen. Man hat sie in flagranti beim Ehebruch erwischt. Und nun ist aus dem Objekt männlicher Begierde ein Objekt männlicher Aggressivität geworden. Das Gesetz verlangt den Tod.
Deshalb werden die frommen Männer aktiv, entrüstet über ihre Tat, voller Entschlossenheit auch zur Exekution. Aber wie den meisten religiösen Führern geht es ihnen nicht unbedingt um Moral. Sie wollen den Fall dieser Frau als Falle gegen den neuen Lehrer benutzen. Wenn schon nicht zur Liebe, so doch wenigstens zum Mitleid mit dieser Frau wollen sie ihn verführen.
Die Frau steht und bleibt stehen. Die frommen Männer kommen und werden dann gehen. Jesus selbst sitzt. Manchmal bückt er sich zur Erde. Manchmal blickt er auf. Kein aufgeregter Protest. Kein flammender Appell für die Menschenrechte, keiner für die Emanzipation dieser Frau. Nur ein paar kurze, wenn auch sehr wirksame Sätze. Ein Vorschlag zur Durchführung der Exekution: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Zwei scheinbar überflüssige Fragen: „Wo sind sie geblieben?“ und: „Hat dich niemand verdammt?“ Und dann eine persönliche Erklärung und ein Befehl: „Dann verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige nicht mehr.“
Wo ist das Problem? Der uralte Gegensatz zwischen den Geschlechtern? Hier ist ja die Frau in der Tat zwischen die verschiedenen Männer-Interessen geraten. Die einen wollen lieben, die anderen wollen strafen. Und dann benutzen sie die Frau auch noch, um ihre unterschiedlichen Ideologien auszutragen. – Oder sehen wir in dem biblischen Abschnitt, wie zwei Etappen in der Geschichte des moralischen Bewusstseins einander ablösen? Aber ich denke, dass in einer Zeit, in der die Menschen die moralischen und die staatlichen und freilich auch die religiösen Gesetze kaum noch ernst nehmen, ist es schwer, die Radikalität der Gegner in dieser Begegnung nachzuvollziehen. Ich will das ob der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht weiter ausmalen.
„Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Und als sie nicht aufhörten, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Dann bückte er sich wieder und schrieb auf die Erde.“ Jesus ist also mit anderen Dingen beschäftigt. Was auch immer sein merkwürdiges Verhalten bedeuten mag – es ist offenkundig, dass er sich in die Auseinandersetzung der anderen nicht hineinziehen lassen will. Nein, er mischt sich in die Schwierigkeiten und Streitigkeiten der anderen nur indirekt ein und verzichtet auf ein eigenständiges Urteil: „Hat sich niemand verdammt? Dann verdamme ich dich auch nicht.“ Jesus wirkt eigentümlich weltfremd. Jesus schreibt in den Sand. Was soll das?
Jesus ist so geistesabwesend, dass er die Wirkung seiner Worte gar nicht bemerkt. Die Frau muss er fragen, wo die Pharisäer und Schriftgelehrten mit ihrer Drohung abgeblieben sind. Aber wo ist er selbst in der Zwischenzeit gewesen?
Das Buch der Bücher hat eine empfindliche Lücke. Ein einziges Mal hat Jesus etwas niedergeschrieben. Und ausgerechnet diese Zeichen hat niemand gesehen und hat niemand überliefert. Wie kann man die verborgene Botschaft dieses Mannes aus Nazareth nach 2.000 Jahren rekonstruieren? Der Wind hat die irdischen Spuren verweht.
Vielleicht liegt darin die tiefste Kränkung, die dieser Abschnitt, dieser Text für die kirchliche Theologie enthält. Das einzige, das Jesus selber geschrieben hat, steht nicht in der Heiligen Schrift. Es ist verwischt, zertreten, ausgelöscht und also für immer verloren. Keine wissenschaftliche Theologie, keine kirchliche Organisation kann es rekonstruieren.
In der rätselvollen Sprache des Johannes-Evangelium gibt es nur einen Weg, um das zu entdecken, was der Wind verweht und die Erde verschluckt hat: „Ich habe euch noch viel zu sagen“, heißt es in den Abschiedsreden Jesu (16, 12), „ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit führen.“ Und an anderer Stelle, am Anfang: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist“ (3, 8). Amen.
EG 503, 13+14
Fürbitten
Vaterunser
Friedensgruß
EG 369, 7
Abkündigungen
Segen – * Amen, amen, amen
Postludium
10. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer i.R. Horst Nasarek.)
Präludium
liturgischer Gruß
EG 282, 1+6
Votum – * Amen
Psalm 85 (EG 743) – *Gloria patri
Kyriegebet
EG 377, 3
Tagesgebet – * Amen
EG 290, 1+3
Predigt zu Rö. 9 i.A.
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Liebe Gemeinde,
10. Sonntag nach Trinitatis, Israelsonntag. Das sagt sich so leicht dahin. Genauer muss es heißen: Gedenktag der Zerstörung Jerusalems. Und dabei fällt mir eine Geschichte der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer ein, gestorben 1950, 51 Jahre alt. „Saisonbeginn“. In einem Kurort in den Bergen sind 1936 Arbeiter damit beschäftigt, am Ortseingang ein Schild anzubringen. Es ist ein schon sehr heißer Spätfrühlingstag, „überall standen die Wiesen wieder in Saft und Kraft… Auch die Häuser und Gasthöfe waren wie neu… (bald) würden die Fremden, die Sommergäste kommen – die Lehrerinnen, die mutigen Sachsen, die Kinderreichen, die Alpinisten, aber vor allem die Autobesitzer mit ihren großen Wagen… Das Geld würde anrollen.“
Es ist nicht einfach, den richtigen Platz für das Schild zu finden; denn neben dem Ortsschild gibt es schon ein Kruzifix, das still auf den tiefen Glauben des Dorfes verweist. Doch nach längerem Hin und Her ist ein Platz direkt neben dem Kreuz gefunden. Die Männer heben Erde aus, rammen einen Pfosten in die Grube und beginnen, ihr neues Schild auf den Pfosten zu nageln. Einige Neugierige begleiten ihre Arbeit: Schulkinder, die den Arbeitern Hammer und Nägel reichen, Männer vom Acker, auch zwei etwas unsichere Nonnen, die frische Blumen in die Vase unter dem Kruzifix stellen. Einige Zuschauer lachten, andere schüttelten den Kopf. Die Mehrzahl blieb unberührt, gab weder Beifall noch Ablehnung kund, sondern war gleichgültig.
Die Arbeiter sind mit der Wirkung des Schildes am ausgesuchten Ort neben dem Kruzifix hoch zufrieden. Der Pfosten, kerzengerade, trägt das Schild mit der weithin sichtbaren Inschrift. Die Arbeiter gehen weg und schauen noch einmal zufrieden zu dem Schild empor. Die Inschrift lautet: „In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.“
Das Schild hatte man neben dem Juden Jesus angebracht, der doch längst fester Bestandteil der christlichen Dorfgemeinschaft geworden war. Die Arbeiter merken also nicht, was sie tun. Die grenzen einen aus, der doch schon lange ganz fest zu ihnen gehört – und grenzen gleichsam sich selber aus, graben sich die Wurzeln ihres Glaubens ab. Kein Mensch würde das freiwillig tun – und doch tun sie es. So entsetzlich war der Wahn.
Jahrhunderte hindurch wussten die Christen nicht, dass der Mann, auf den ihr Glaube gründete, ein Jude war. Man hatte dem Kruzifixus, dem Gekreuzigten, die Scham bedeckt, damit man nicht sehen konnte, dass er ein Beschnittener war. Jesus, der Herr der Kirche, war Jude – wie die Jünger und Apostel alle, auch Paulus. Und eben dieser Paulus musste sich, 30 Jahre nach Jesu Tod und Auferweckung, musste er sich viele Gedanken machen über das Verhältnis von Juden und Christen. Diese Fragen und Gedanken vereinte er in seiner eigenen Person. Hochgebildeter römischer Bürger mit lateinischem Namen Paulus mit allen Rechten, als Kind beschnitten mit dem Namen Schaul und somit Angehöriger des Volkes Gottes, verfolgte er den neuen christlichen Glauben leidenschaftlich bis zum Damaskus Ereignis, als er auf dem Weg zur Christenverfolgung die Stimme Christi hört: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
Wie gesagt: Paulus hat mit den Fragen nach Verhältnis von Juden und Christen sehr gerungen und immer wieder Antworten seinen Gemeinden gegeben. Wir hören eine seiner Antworten an die Gemeinde in Rom.
Römer 9, 1-8, 14-16 (Luther-Bibel)
1 Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist,
2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe.
3 Denn ich wünschte, selbst verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch.
4 Sie sind Israeliten, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen,
5 denen auch die Väter gehören und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch. Gott, der da ist über allem, sei gelobt in Ewigkeit. Amen.
6 Aber ich sage damit nicht, dass Gottes Wort hinfällig geworden sei. Denn nicht alle sind Israeliten, die von Israel stammen;
7 auch nicht alle, die Abrahams Nachkommen sind, sind darum seine Kinder. Sondern »nach Isaak soll dein Geschlecht genannt werden« (1. Mose 21,12).
8 Das heißt: Nicht das sind Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind; sondern nur die Kinder der Verheißung werden zur Nachkommenschaft gerechnet.
14 Was wollen wir hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne!
15 Denn er spricht zu Mose (2. Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.«
16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.
Spüren Sie, wie Paulus sich beim Antworten quält? Ganz tief weiß er nicht, warum so viele aus dem erwählten Volk ihren Gott nicht folgen wollen oder können. Er versteht nicht, warum die Juden Jesus als ihren Messias, als den Christus, nicht anerkennen wollen oder können. Und so schließt er seine Sätze mit dem Einigen, was er genau zu wissen meint: So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes gnädigem Erbarmen.
Und auch wir wissen es nicht, warum manche glauben und andere nicht. Aber im Verhältnis zu den Menschen jüdischen Glaubens dürfen wir es nicht darauf beruhen lassen, dass wir Gott nicht in die Karten schauen können. Nein, wir werden uns weiter und intensiver mit vergangenem und gegenwärtigem Verhältnis zwischen Juden und Christen beschäftigen.
Wir tun es am besten, dass wir möglichst viel vom Glauben unserer jüdischen Freunde erfahren. Beispiele: Was bedeuten die jüdischen Feste? Warum tragen jüdische Männer eine Kippa? Warum gibt es die Menora, den 7-armigen Leuchter? Sind alle Israelis Juden? Wo sind Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten? Was ist Jiddisch? Und noch mehr solcher Fragen.
Ich liebe Hebräisch, die Sprache des ersten Teils unserer Bibel, den wir das AT nennen. Und ich liebe Jiddisch. Darum gibt es zum Schluss der Predigt eine kleine jiddische Geschichte:
A schejner sumer-frimorgn. A jid schpazirt sich in park, un fun hintn lojft im noch a klejn hintl. Bald bawajst sich a polizjant un sogt streng: „Nemt dem hund ojfn rimen, a nischt bazolt ir a geldschtrof!“ Der Jid gejt wejter. „Nemt dem hunt ojfn rimen!“ zebejsert sich der polizjant. „A nischt bazolt ir a geldschtrof!“ Der jid gejt wejter. Der polizjant nemt arojss a bichl, schrejbt epess ojf un sogt bafelerisch: „Ir zolt zen slotess schtrof!“ Der jid blajbt schtejn: „Far woss epess darf ich zoln? Doss is doch nischt majn hunt!“
„To woss-sche lojft er ajch noch?“ schrajt der polizjant.
„Ir lojft mir ojch noch, un ir sent nischt majn hunt…“
Das Verhältnis Juden – Christen, es möge von beiden Seiten weiter fruchtbar gedeihen. Gott gebe sein Shalom dazu und seinen Segen, damit wir ihn weiterhin loben und preisen auf die jeweils eigene Weise. Amen.
EG 395, 3
Fürbitten
Vaterunser
Friedensgruß
EG 157
Abkündigungen
Segen – * Amen, amen, amen
Postludium
11. Sonntag nach Trinitatis
Den “Teichgottesdienst” in Dürrenbüchig hält Pfarrer Rolf Weiß.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
einige Menschen, die nach einer Intensivbehandlung wegen einer Corona- Erkrankung wieder einigermaßen gesund aus dem Krankenhaus entlassen wurden, haben wie mit einem Stoßseufzer gesagt: „Mir wurde gerade ein neues Leben geschenkt.“
Ähnlich habe ich vor Kurzem gedacht, als ich die zweite Impfung bekommen habe. Natürlich will ich nicht vermessen sein und das auf die gleiche Ebene stellen. Glücklicherweise bin ich ja von einer Infektion verschont geblieben.
Aber dennoch war es eine Befreiung, als ich wusste, nun kann ich wieder verstärkt ins Berufsleben einsteigen. Und so freue ich mich heute über diesen Gottesdienst mit Ihnen besonders, weil es ganz offiziell der erste ist, den ich seit langer Zeit wieder ohne Einschränkungen halten darf.
Um ein neues Leben ging es in Ephesus auch, als ein Brief an die Gemeinde geschrieben wurde, aus dem der heutige Predigttext stammt. Wir hören aus Epheser 2 die Verse 4 bis 10:
4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,
5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet -;
6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,
7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.
8 Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,
9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.
10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.
In jenen Tagen waren die Römer unumschränkte Herrscher in Palästina. Sie hatten den Tempel in Jerusalem zerstört, an relativ vielen Orten waren inzwischen christliche Gemeinden etabliert.
Wer zu diesen dazugehören wollte, musste eine Reihe von Texten auswendig lernen, die eher „unter der Hand“ tradiert wurden. Es galt, seine Aufrichtigkeit glaubhaft zu machen. Das hatte damit zu tun, dass im Prinzip nur Erwachsene aufgenommen wurden. Und diese waren ja bisher in andere Lebenszusammenhänge und und eben auch in andere Kulte eingebunden. Die Aufnahme von Kindern gab es zwar vermutlich auch schon – aber nur in wenigen Ausnahmen, soweit wir wissen.
Drei Dinge bildeten so etwas wie ein Aufnahmeritual: Das Bekenntnis, die Taufe und die erste Teilnahme am Abendmahl – und das alles eher im kleinen Kreis, fast im Verborgenen.
In dem heutigen Briefabschnitt nach Ephesus ist das Stichwort „Taufe“ zwar nicht erwähnt, aber wir können vom Inhalt und von seinem Zusammenhang mit anderen Texten darauf schließen, dass es sich hierbei um eine Taufermahnung handelt. Wer die Taufe begehrt, sollte wissen, was diese bedeutet. Und es interessierte natürlich auch damals schon, welcher persönliche Gewinn damit verbunden ist: Nämlich die Errettung aus einem quasi ziellosen Leben und die Aussicht auf eine Aufnahme in die Nähe Gottes nach dem irdischen Tod.
Zu verdanken ist die Erlöung allein dem liebenden und gütigen Gott, der solches Tun schon von Anbeginn an mit den Menschen vorhatte.
Um dorthin zu gelangen, ist die Aufnahme in die christliche Gemeinde vermittels der Taufe allerdings unbedingt Voraussetzung – so die Gedanken des Epheserbriefes. Später wurde daraus einmal der Satz: ‘Es gibt kein Heil außerhalb der Kirche’.
Das sind zwei Setzungen, die in den letzen 2.000 Jahren viel diskutiert worden sind, und die außerhalb des Epheserbriefes in dieser Weise nur wenig vertreten werden: Die Vorausetzung der Taufe und die Kirche als unbedingter Ort der Rettung. Seinerzeit gab es eben auch nur eine einzige Kirche.
Geblieben ist davon allerdings bis heute die Aufnahme in die Kirche durch die Taufe. Und geblieben ist der Unterricht, um die Inhalte des Glaubens vermittelt zu bekommen bzw. zu vermitteln. Umgekehrt sind Menschen ohne Taufe und ohne Mitgliedschaft in der Kirche auch nicht zur Teilnahme am Abendmahl zugelassen.
Mit Paulus ist sich der Verfasser des Eph. einig, dass wir nicht durch unser Verhalten, durch unsere Werke Gott dazu überreden können, uns gnädig zu sein. Gott entscheidet selbst, wann, wie, warum und wem göttliche Liebe und Güte zuteil wird. Gleichwohl gibt es einen Zusammenhang zwischen der Taufe und dem Leben der getauften Menschen. Dennoch ist diese menschenfreundliche Güte Gottes ganz an unsere christliche Existenz in der Kirche gebunden. Im letzten Vers des Abschnittes gibt es dazu einen deutlichen Appell zum sittlichen Wandel.
Christliche Lebensführung soll sich positiv von der heidnischen abheben. Aus dem Dank gegenüber Gott sollen Liebe und Bescheidenheit gegenüber den Mitmenschen erwachsen. In der Taufe gibt Gott den neuen Menschen die Kraft zu entsprechenden Werken.
Haben Sie sich schon einmal gezielt überlegt, wie sie sich als Christin oder Christ von anderen Menschen qualitativ unterscheiden wollen?
Ich habe den Eindruck, es ist häufig eher anders herum, dass wir von anderen beobachtet werden, ob unser Reden mit unserem Tun übereinstimmt. Und das ist ja keine neue Entwicklung sondern wurde mir von der Generation meiner Eltern schon erzählt.
Wer wollte schon überprüfen wollen, ob die praktischen Helferinnen und Helfer in den Flutgebieten Westdeutschlands getauft sind. Oder diejenigen, deren Spenden in die zig Millionen gehen.
Aber es könnte ja durchaus eine Form von Bekenntnis sein, dass wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen und öfter mal bekannt geben: „Ich mache das, weil ich Christin, weil ich Christ bin.“
Es kommen sicher wieder Zeiten, in denen wir uns wieder öfter in Bibelkreisen oder anderen Gemeindegruppen, bei Andachten und Gemeindeveranstaltungen treffen können, um nach einem gemeinsamen Weg für christliches Leben zu suchen.
Wir müssen nicht für jede Einzelentscheidung ein Meeting anberaumen, aber es schadet auch nichts, wenn wir uns verstärkt über Grundüberzeugungen verständigen und nach Umsetzungsmöglichkeiten für den Alltag suchen. Die Verständigung auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ist sicher grob hilfreich. Aber die Meinungen darüber, wie das in Dürrenbüchig oder Diedelsheim spürbar, erfahrbar Wirklichkeit werden kann, sind doch sehr verschieden. Darum ist es so wichtig miteinander im Gespräch zu bleiben.
Ein Schritt ist jedem und jeder von uns gegeben: das Gebet. Und hier meine ich jetzt vor allem das Gebet für andere, gerade für solche, die selbst nicht beten können.
Und wir haben letzte Woche hier in Dürrenbüchig eine besondere Form der Verkündigung in kleinen Schritten ausprobiert. Jeden Abend um 19:30 Uhr war nach dem Abendläuten Gelegenheit, in der Kirche laut aus der Bibel vorzulesen. Damit konnte Gottes Wort zu Gehör gebracht und in seiner Fülle entdeckt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das für die komemnde Zeit beibehalten werden. Sie sind herzlich zum Mitmachen eingeladen!
Möglicherweise werden wir schnell feststellen, dass uns auch mit Menschen außerhalb der Gemeinde viel verbindet. Vielleicht müssten wir uns stärker zusammentun, um gegen Ungerechtigkeiten wie Ausbeutung und Unterdrückung anzugehen. Ich denke, die Lage der Welt und nicht zuletzt unsere Schöpfung machen das dringend erforderlich.
Wenn wir mit dem Epheserbrief übereinstimmen, dass Dankbarkeit, Bescheidenheit und Liebe christliche Grundhaltung ausmachen, dann werden wir auch herausfinden, welchen Weg dafür Gott für uns bereitet hat.
Amen.
12. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß.)
Liebe Gemeinde,
es gibt Dinge, die muss man erzählen.
Sie kennen das bestimmt auch: Da erzählt ihnen jemand etwas mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sie das nicht weitersagen dürfen, weil das ganz geheim ist. Und irgendwie werden sie das Gefühl nicht los, dass das aber genau Sinn und Zweck der Sache ist. Das sog. ‚Geheimnis’ soll weitererzählt werden.
Und als er wieder fort ging aus dem Gebiet von Tyros, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer; mitten in das Gebiet der zehn Städte.
Geschichten brauchen Orte, weil sie sagen: dort war es! Und wenn du es nicht glaubst, dann geh dahin. Guck nach. Du kennst das doch. Ganz bei dir in der Nachbarschaft. Da, wo dein Großvater … und deine Cousine … Na, du weißt schon … Also, Galiläisches Meer, Gebiet der zehn Städte
Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war und boten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.
Noch wichtiger als der Name ist, was die Menschen tun oder – was man von ihnen erzählt. Jesus zieht von Ort zu Ort. Bleibt nicht. Kommt an und nimmt Abschied. Jetzt ist er hier. Längst vor ihm war schon die Geschichte da. ,,Er hat ihr nur die Hand aufgelegt, und sie wurde gesund.” So erzählt man von dem kleinen Mädchen, das sie eigentlich schon aufgegeben hatten.
Deshalb bringen sie einen Taubstummen. Die Familie und die Nachbarschaft: Sie alle haben mit ihm zu tun. Sie hören sein Lallen, müssen ihn anstupsen, um ihm etwas zu zeigen. ,,Hier, Simon, willst du ein Stück Brot?” Sie reden mit ihm und wissen: ,,Ach, der versteht mich ja doch nicht”, und reden trotzdem. ,,Simon, du bist jetzt sicher müde. Willst du dich nicht ein bisschen hinlegen?” Sie machen Scherze in seiner Gegenwart und lachen über ihn, er kriegt es ja nicht mit: ,,Hast du ihn gesehen, das ist ein Tölpel!” Sie sind verzweifelt: ,,Ach, Simon, wenn du mich doch nur verstehen könntest.” Sie halten sich die Ohren zu, wenn er schreit und Laute von sich stößt, die keiner deuten kann. Sie machen sich Sorgen: ,,Was soll aus mm bloß werden, wenn ich mal nicht mehr da bin?” Sind traurig: ,,Simon, das ist doch kein Leben, was du hast …,, Und wütend:
,,Verflixt noch mal, warum gerade er? Warum eigentlich wir?!”
Nun haben sie gehört, was die Leute von den Heilungen erzählen. Und in dem eingerichteten Leben landet ein Funkenflug Hoffnung. Hoffnung ist unerbittlich. Wenn sie erst einmal gelandet ist, hört sie nicht auf zu brennen. Sie drängt nach Erfüllung und fürchtet das Versagen. Sie bringen ihn. Weil sie selber mit ihm heil werden wollen.
Und sie boten Jesus, dass er die Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite.
Am Anfang die Bitte. Leg die Hand auf. Mach es so, wie wir schon von dir gehört haben. Ob sie sich unterhalten – Jesus und die Familie, die Freunde? Vielleicht nicht, weil der erfahrene Arzt sowieso schon ahnt, was sie ihm erzählen werden. Ein Blick auf ihre Gesichter reicht. Ihre Hoffnung und Angst. Ein Blick auf diese Gruppe mit dem Taubstummen mittendrin genügt sich vorzustellen, wie ihre Wirklichkeit aussieht. Ein Blick in die Augen des Taubstummen, um seine Wirklichkeit zu ermessen. Seine Stimme von fern her zu hören. Jesus tut, was sie von ihm erwarten. Er nimmt ihn zur Seite. Geht mit ihm weg von den anderen. Ab jetzt ist es eine Sache zwischen ihnen beiden.
Er legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata’ das heißt: tu dich auf!
Er berührt ihn dort, wo seine Krankheit steckt. Gibt ihm von seinem Lebensfluss’ seinem Speichel, und verbindet sich mit ihm: eine Hand im Ohr, die andere Hand auf der Zunge. Sie gehören nun zusammen. Wie ein Kreislauf, der sich nun öffnet: Jesus sieht auf zum Himmel und seufzt. Die Lungen randvoll füllen, das Leben in sich hineinziehen und dann den Atem hinaus stoßen alles abgeben und leer werden, loslassen, sich selbst loslassen. Geöffnet zum Himmel. Diese Momente – die eigenen Grenzen wissen. Nun liegt es nicht mehr an mir. Sich öffnen zum Himmel. Vertrauen. Das richtige Wort finden. Im richtigen Moment. Hefata. Tu dich auf.
Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fesseln seiner Zunge lösten sich, und er redete richtig.
Merkwürdig: Was genau passiert, können wir nicht beschreiben. Es gibt nur ein Vorher und Nachher. Plötzlich ist es anders.
Seine Ohren tun sich auf. Er hört. Versteht. Die Welt bekommt Namen und Begriffe. Einen Sinn. Er kann seine Welt deuten und es anderen mitteilen. Er redet richtig, nichts mehr, was ihn hemmt und fesselt. Er sagt: ,,Ja, das will ich.” Er sagt: ,,Nein, ich bin nicht müde, ich will rausgehen und was Neues sehen.” Er sagt: ,,Wisst ihr eigentlich, wie es ist, nie dazugehören zu können? Wie es ist, einsam zu sein?” Er sagt: ,,Wollt ihr mich überhaupt verstehen?” Er sagt. ,,Es tut mir leid, dass ich euch zur Last falle.” Er sagt: ,,Danke, dass du da bist.” Er sagt: ,,Ich liebe euch.” Er sagt: ,,Ich gehe jetzt.” Er sagt: ,,Es tut so gut, dass mir jemand einfach nur zuhört.” Er sagt: ,,Ich fühlte mich wie ein Stück Dreck, wie lebendig begraben und nun: es ist, als sei ein Sonnenstrahl in mich hineingefallen. Ich atme. Ich freue mich. Ich bin glücklich. Ich bin endlich glücklich.”
Und Jesus gebot ihnen, sie sollten es niemandem sagen. Je mehr er es aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus.
Sie reden. Wie könnten sie darüber auch schweigen? Sie müssen reden und sie erzählen von diesem Unglaublichen und von ihm. Ein Heiler. Ein Prophet. Ein Weiser. Der Messias. Ein Aufrührer. So reden sie und erzählen damit auch von sich. Von ihrer Hoffnung. Von ihrer Veränderung. Von neuem anderen Leben. Nur weil sie so über ihn reden, wird er wichtig. Weil er wichtig wird, wird er zu mächtig für die Mächtigen.
Jesus selber hat so nicht von sich geredet. Überhaupt nur wenig von sich. Menschensohn hat er sich genannt. Und von Gott geredet. Vom Himmelreich. Von Verlorenen und Gefundenen. Von Kindern und von Starken. Von den Vögeln unter dem Himmel und dem Haus auf Felsen gebaut. Von Lüge und Wahrheit. Von Gerechtigkeit und einem Tisch, an dem alle Platz finden.
Es gibt Dinge, die muss man erzählen und kann sie eigentlich doch nicht erzählen, weil sie zu groß sind für unsere kleinen Worte. Zu wundervoll sind für nüchterne Worte.
Als die Frauen am Ostermorgen vom leeren Grab zurück rennen, da, so heißt es im Evangelium, hatte Zittern und Entsetzen sie ergriffen. Was sie hören – ,,Fürchtet euch nicht, denn den ihr sucht, ist nicht hier”, sagt der Engel am Grab – was sie hören, verstehen sie nicht. Und sie sagen niemandem etwas, denn sie fürchten sich. So beginnt der Ostermorgen. Ohne Verstehen. Ohne Worte.
Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Ich glaube, das Evangelium erzählt die Heilung vom Taubstummen, weil es auch beim Glauben so etwas wie ein Vorher und ein Nachher gibt.
Die ersten Christen haben das sehr spannungsreich erlebt von Ostern an – wie darüber reden, was in ihnen vor geht…? Der Tod, das leere Grab, die Gleichnisse und Reden, die ganz unterschiedlichen Begegnungen mit dem Auferstandenen – wie das alles zusammenkriegen, wie überhaupt verstehen? Und als es ihnen gelang, Sprache zu finden, das Innere nach außen zu bringen, also den Glauben auszudrücken, – und zwar so verschieden, so unterschiedlich, wie sie waren, doch gemeinsam – da haben sie gesagt, dass das mit uns passiert, das kann nur Gott selbst sein. Und das haben sie gefeiert. Pfingsten. Und sie begannen anderen zu erzählen; es weiterzuerzählen.
Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend. Es macht einen Unterschied, ob ich die Welt christlich oder ,,nicht-christlich” sehe und höre und sie deute. Die Welt klingt anders, wenn ich die Stimmen am leeren Grab zu mir herüber höre. Fürchtet euch nicht… Die Welt bekommt neue Namen, einen anderen Sinn. Im Bild ausgedrückt: Mir scheint, als hätte Gott, so wie Jesus dem Taubstummen, der Menschheit eine Hand aufgelegt. In Jesus von Nazareth sichtbar. An die Stelle des Menschen, wo seine Krankheit steckt, nämlich abgeschnitten vom Lebensstrom wie taub, wie stumm. Auf sich bezogen und in sich begraben und doch mit einer grenzenlosen Sehnsucht nach heil sein, geliebt sein, gehört werden, berührt werden. Leg deine Hand darauf…
Ja, als hätte Gott mit einer Hand die Menschheit berührt, damit der Himmel sich öffnet und, wo Grabesdunkel ist, Licht hineinfällt.
Ob es im Leben nicht darum geht? Sich als Menschen miteinander verbinden. Dort berühren und sich rühren lassen, wo die Sehnsucht schmerzt. Das Leben einatmen und loslassen. Sich selbst loslassen für einen Moment. Sich öffnen für den Himmel. Hören. Und sprechen.
Denn: er hat alles wohl gemacht. Amen.
13. Sonntag nach Trinitatis
(Den Gottesdienst hält Pfarrer Rolf Weiß.)
Gnade sei mit euch …
Liebe Gemeinde,
Im Grunde erzählt jede biblische Geschichte, was Gott für die Welt tut. So auch die Geschichte von Kains Brudermord. Auch wenn uns das eingangs etwas ungewohnt sein mag.
Dass einer auf den anderen neidisch ist, dass einer den anderen am liebsten umbringen möchte und es manchmal auch tut, dass man keine Ruhe findet, sondern herum hetzt im Leben – das wissen und merken wir selbst. Aus diesem Grunde müssten wir die alte Geschichte von Kain und Abel heute Morgen nicht hören. ,,Aber was hat das alles mit Gott zu tun, mein Neid und meine Hetze?” Ich antworte jetzt etwas forsch: Damit wir darauf eine Antwort bekommen, darum steht diese Geschichte in der Bibel.
Es gibt Formen der Sünde, die sind sozusagen ,,salonfähig”. Da denkt man sich nichts dabei, und es ist auch gar nicht schlimm. Ich meine damit jetzt gar nicht die Sahnetorte.
Was ist schon dabei, wenn jemand Gott misstraut? Wenn jemand ihn anzweifelt oder wegschiebt? Das erste Gebot heißt zwar “Ich bin der Herr, dein Gott”, aber man kann doch ganz gut auch ohne ihn leben, glauben viele.
Die Bibel glaubt das nicht. Adam und Eva hatten Gott ja angezweifelt: ,,Sollte Gott etwa gesagt haben…?” Nein, sie konnten ganz gut ohne ihn leben; so hofften sie jedenfalls. Und das Leben ging in der Tat ja weiter. Aber wie?! Kain und Abel zeigen es uns: Verfolgung, Mord und Totschlag – so geht es weiter. Da kommt man an, wenn man in die falsche Richtung fährt, weg von Gott nämlich.
Wir müssen nicht lange suchen, um das zu sehen. Die Weltgeschichte ist mit Blut geschrieben. Alle Aufrufe zur Mitmenschlichkeit haben das nicht gebessert. Wie atmen wir auf, wenn es irgendwo in der Politik ein Anzeichen gibt, dass sich etwas bessern könnte. Und doch ist das Misstrauen da, dass es auch diesmal nicht gelingen wird.
Und im eigenen Leben, in der eigenen Familie: wie sieht es da aus? Es läuft nicht immer alles nach Plan. Auch nicht nach Gottes Vorgaben. Auch Christen sind davon nicht ausgenommen. Zu schnell und zu leicht tun wir etwas, was unseren Nächsten am Leben hindert. Sicherlich, oberflächlich gesehen halten wir uns alle an das Gebot ,,Du sollst nicht töten”. Aber untergründig und hintergründig sieht es da schon anders aus.
In der Bergpredigt hat Jesus einen Kommentar dazu gegeben. Wo beginnen Mord und Totschlag? Im eigenen Herzen, in den Gedanken, wenn der andere mir gleichgültig ist, wenn ich mich über ihn ärgere, wenn ich denke: ,,Ich bin besser als der!”
Bei Kain können wir das deutlich sehen. Das Opfer von Kain nimmt Gott nicht an. Warum? Es wird in unserer Geschichte nicht ausdrücklich gesagt.
Kain war der Ältere, Abel der Jüngere. Kain war Bauer, Abel ein Hirte. Kain lebte in einer gewissen Sicherheit von Saat und Ernte; da war sein Auskommen garantiert. Abel dagegen zog mit seinen Herden umher, und das war viel unsicherer. Kain war der Stärkere, Abel der Schwächere.
Und nun verwirft Gott das Opfer Kains. Ist das nicht ungerecht? Steht es dem Kain nicht zu, dass Gott ihm gnädig ist, ihm, dem Älteren? Luther lässt in einer Predigt Kain sagen: ,,Ich bin ja der erste Sohn, mir gebührt das Regiment, ich bringe auch das beste Opfer; darum wird Gott mein Opfer ansehen und es sich gefallen lassen.”
So geht es zu bei uns Menschen. Selbst Gott wollen wir uns kaufen und wenn nicht gerade kaufen, so soll er uns doch seinen Segen geben zu dem, was wir für richtig halten. Und wenn er das nicht tut? Wenn er einer anderen bevorzugt (wie wir meinen), wenn es nicht nach unseren Vorstellungen läuft? Oh, zu schnell ist unsereiner verletzt, fühlen wir uns benachteiligt. Zu schnell beziehen wir dann Stellung gegen den anderen und gegen Gott.
Gott hat das Opfer Abels angenommen. Wir wissen auch hierbei nicht, wie das in einzelnen gewesen ist. Aber das ist deutlich: Kain meinte, dass ihm etwas fehlt, und darum musste Abel weg. Am liebsten hätte Kain sich gegen Gott selbst gewendet. Aber nun war eben nur Abel da. Und indem er Abel umbringt, trifft er Gott selbst.
Welchen Gott? Den Gott, den man nicht berechnen kann. Es war Gottes freier Wille, sein freier Entschluss, das Opfer des Älteren nicht anzunehmen.
Dennoch ist das gleichzeitig der Anfang der Guten Nachricht: Gott kümmert sich auch um das Schwache, um den Schwachen. Bei Gott geht es nicht nach menschlichen Maßstäben zu – diese sind allzu oft unmenschlich. Nein, Gott kümmert sich um das Schwache und nimmt es an. Er geht andere Wege als wir. Gehen wir da mit?
Kain hat das nicht begriffen. Was aber tut Gott? Er redet ihn an – dennoch, trotzdem. Gott lässt auch Kain nicht allein; er fragt ihn: ,,Wo ist dein Bruder Abel?” Es ist Gott nicht gleichgültig, was mit den Menschen geschieht.
Kain mag sich gedacht haben: ,,Abel ist tot und begraben, also vergessen.” Aber Gott vergisst die Menschen nicht, die Opfer nicht und die Täter nicht: ,,Wo ist dein Bruder?”
Nun muss Kain antworten. Eigentlich ist das schon ein Glück, dass wir nicht uns selbst und unseren Leidenschaffen überlassen bleiben. Gott stellt uns zwar in Frage, er straft uns mit seinem Gericht. Aber das heißt doch, dass da immer noch eine Verbindung ist; Gott hat Interesse an uns.
Aber Kain hat kein Interesse mehr an Gott. Seine Antwort zeigt das:
“Soll ich meines Bruders Hüter sein?” Unverschämt, könnte man sagen, gefühllos. Doch Gott gibt nicht auf. Menschlich gesprochen: Gott empört sich: ,,Was hast du getan!” Das Leben gehört Gott. Der Mensch neben mir gehört Gott. Wie kann ich mich da gegen einen Menschen wenden? Wie kann ich da versuchen, auf Kosten des anderen selber leben zu wollen?! Die Folgen muss ich dann tragen.
Es erscheint manchen als das Unheimliche, dass im Gericht Gottes die Erde mit hineingezogen ist. Das Ackerland, auf dem Kain wohnte, und wo das Blut Abels geflossen ist, wird unfruchtbar. Kain kann dort nicht mehr leben. Er hat sich selbst seine Lebensgrundlage zerstört.
Das klingt ja fast wie ein aktueller Nachrichtenbericht.
Nun muss dieser Mensch woandershin gehen. Das hatte er nicht gewollt. Das tut ihm leid. Nicht Abel tut ihm leid. Er tut sich selber leid. Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr. Er hat Angst vor den anderen Menschen. ,,Mich wird totschlagen, wer mich findet”, klagt er. Mit Recht, würden wir sagen.
Doch auch jetzt handelt Gott anders als wir. Das Leben gehört Gott; die
Menschen gehören Gott, auch Kain. Für unser Denken ungewöhnlich: Gott stellt Kain unter seinen Schutz; niemand soll ihn anrühren.
Das ist wie im Psalm 91, in dem jedem Menschen zugesichert wird: Wie Schild und Schutzwall deckt dich Gottes Treue.
Die biblische Geschichte spricht hier von einem Zeichen Gottes für Kain. Wir wissen nicht, was das war und wie wir uns das vorstellen sollen. Es ist jedenfalls keine Garantie, dass nun alles gut gehen wird mit Kain. Dieses Zeichen ist auch kein Schwamm, mit dem Gott alles wegwischt. Die Tat bleibt, die Folgen bleiben, die Schuld bleibt.
Es ist ein zerbrechliches Zeichen. Denn es könnte ja durchaus sein, dass auch Kain noch ermordet wird. Davor hat er Angst. Aber auch sein Leben gehört Gott; er darf weiterleben. Darum heißt es: ,,Kain soll siebenfach gerächt werden.” Der Schutz für Kain wird ungeheuer verstärkt. Niemand darf Richter spielen und sich so an Gottes Stelle setzen. Das ist gut für Kain.
Doch zu einer Gemeinschaft mit Gott kommt es nicht mehr. Unsere Geschichte endet mit dem Satz: ,,Er ging hinweg von dem Angesicht des HERRN.” Gott bleibt der Herr, auch über Kains Leben. Aber was für ein Leben ist das, wenn er nun weggeht von Gott?
Gott gibt sich damit nicht zufrieden, wenn wir einfach weggehen von ihm. Nein, er möchte in Gemeinschaft mit uns leben. Doch wir kriegen das oft nicht hin; Kain zeigt es uns. Von sich aus findet er den Weg zu Gott nicht mehr.
Aber nun kommt Gott zu den Menschen, zu uns. Gott ist selbst Mensch geworden, ist selbst Opfer geworden. Als Jesus Christus am Kreuz gestorben ist, als sein unschuldiges Blut vergossen und die Erde auf dem Hügel Golgatha mit seinem Blut getränkt wurde – da hat Jesus das getan, was wir Menschen nicht tun können. Wir werden unsere Schuld nicht los; aber er hat sie von uns genommen. Wir gehen von Gott weg; aber er geht uns nach. Und er will uns ändern, damit wir nicht immer so handeln müssen, wie es üblich ist. Er will uns zu solchen Menschen machen, wie wir sie eigentlich sein sollten.