Sexagesimae

Den Gottesdienst zur Predigtreihe “Unterwegs” hält Pfarrerin Andrea Kampschröer.

Predigtthema: „In der Fremde oder am Heimatort? – Mit Jesus unterwegs“

Lesungstext: Markusevangelium 2,13-15
Jesus ging wieder hinaus zum See. Die ganze Volksmenge kam zu ihm, und er lehrte sie. Als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus. Der saß an seiner Zollstation. Jesus sagte zu ihm: „Komm folge mir!“ Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus bei ihm zu Hause zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Es waren inzwischen viele, die Jesus folgten.“

Lied vor der Predigt: EG 391,1-4
1.Jesu, geh‘ voran auf der Lebensbahn!
Und wir wollen nicht verweilen, dir getreulich nachzueilen;
Führ uns an der Hand bis ins Vaterland.
2. Soll’s uns hart ergehn, lass uns feste stehn
und auch in den schwersten Tagen niemals über Lasten klagen.
Denn durch Trübsal hier geht der Weg zu dir.
3. Rühret eigner Schmerz irgend unser Herz,
kümmert uns ein fremdes Leiden, o so gib Geduld zu beiden.
Richte unsern Sinn auf das Ende hin.
4. Ordne unsern Gang, Jesu, lebenslang.
Führst du uns durch rauhe Wege, gib uns auch die nöt’ge Pflege.
Tu uns nach dem Lauf deine Türe auf.

Predigt
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
mit Jesus unterwegs, das sind Christinnen und Christen auf sehr unterschiedliche Weise:
Manche fühlen sich Jesus tagein tagaus sehr nahe und halten ständig Zwiesprache mit ihm wie mit einer guten Freundin. Und manche fragen auch bei jeder Alltagsentscheidung bei ihm nach. Ich erinnere mich an die Frau in Los Angeles, bei der ich vor vielen Jahren zu Gast war. Sie wollte sich einen neuen Badeanzug kaufen und fragte fröhlich-unbekümmert bei Jesus nach, welchen sie nehmen sollte.
Dann gibt es Menschen, die vor schweren Gewissensentscheidungen stehen und da fragen: Was würde Jesus dazu sagen? Was würde er jetzt tun? Einerseits sind diese Menschen mit respektvollem Abstand mit Jesus unterwegs. Andererseits fühlen sie ihr Angewiesen-Sein auf Jesu Geist tief in ihrem Inneren.
Wieder eine andere Art, mit Jesus unterwegs zu sein, drückt das Lied vor der Predigt aus. Es erzählt vom tiefen Vertrauen in Jesus auch und gerade in schwierigen Lebenssituationen. Dies Vertrauen, wie es im Lied ausgedrückt wird, begegnet mir immer wieder bei vorwiegend älteren Menschen, die ich in der Klinik treffe. Vermutlich eher unbewusst als bewusst gehört zu dieser Art des Unterwegs-Seins mit Jesus die Tatsache, dass er uns voraus ist: in seinem Handeln, in seinem Gottvertrauen, in seinem Erleiden von Schwerem und im Ankommen in Gottes Reich. Jesus hat das durchschritten und erreicht, wohin wir noch immer unterwegs sind.
Eine weitere Art, mit Jesus unterwegs zu sein, ist eine eher unbewusste. Bei der Taufe wird mit dem Kreuz auf der Stirn dem Täufling zugesagt: „Du gehörst zu Jesus Christus, er ist bei dir jeden Tag.“ Einem kleinen Kind wird es intellektuell schwerfallen, das zu erfassen. Aber meiner Meinung nach erfasst es mit ganz anderen Antennen, dass da Wichtiges passiert.
Jugendliche und Erwachsene können fragen: „Hä, ich mit Jesus unterwegs? Ich geh‘ doch meinen eigenen Weg. Und da sind mir Freunde wichtiger und näher als Jesus.“ Und die Sehnsucht, noch auf andere Weise begleitet zu sein, haben viele trotzdem. Manche zeigen das dadurch, dass sie eine Kette mit Kreuz tragen, für alle sichtbar oder eher verborgen.

Und grundsätzlich bleibt es eine offene Frage, ob es denn von unserem Glauben und von unseren Wünschen abhängt, dass Jesus mit uns unterwegs ist.

Auf unterschiedliche Weise mit Jesus unterwegs waren schon vor 2000 Jahren seine Jüngerinnen und Jünger, zuerst im relativ kleinen Landesteil Israels, in Galiläa. Es wird erzählt, dass manche von ihnen von heute auf morgen ihre Familien und ihr bisheriges Leben verließen, um mit Jesus sein unstetes Wanderleben aufzunehmen. Und dann hat er seinen 12 Jüngern noch gesagt, wie sie ohne ihn weiter in seinem Sinne unterwegs sein sollten. Davon berichten drei der vier Evangelien. Ich lese aus Markus 6 die Verse 6-13:

Jesus zog durch die Dörfer in der Umgebung und lehrte. Er rief die Zwölf zu sich. Dann sandte er sie jeweils zu zweit aus und gab ihnen die Vollmacht über böse Geister. Er forderte sie auf: „Nehmt außer einem Wanderstock nichts mit auf den Weg: kein Brot, keine Vorratstasche und auch kein Geld im Gürtel. Ihr dürft Sandalen anziehen, aber nehmt kein zusätzliches Hemd mit.“ Außerdem sagte er: „Wenn ihr in einem Haus aufgenommen werdet, bleibt so lange dort, bis ihr den Ort wieder verlasst. Wenn euch die Leute in einem Ort aber nicht aufnehmen und euch nicht zuhören wollen: Zieht gleich weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen.“ Und die Jünger zogen los. Sie verkündeten den Menschen „Ändert euer Leben!“ Sie trieben viele Dämonen aus, salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.

Ganz schön herausfordernd diese Aufträge, die Jesus da den Seinen erteilt: Unterwegs sein mit seiner Botschaft mit seiner Vollmacht, mit seiner Radikalität, hopp oder top, aber ohne Brot, ohne Geld und ohne Kleiderkoffer.
Ich predige nach 37 Dienstjahren zum allerersten Mal darüber. In den sonntäglichen Predigttexten kommt diese Aussendungsrede Jesu nur am Rande vor. Ich vermute, das könnte daran liegen, dass bei der weiteren Entwicklung der christlichen Gemeinschaft diese Radikalität als überholt angesehen wurde. Anfangs haben die Christinnen und Christen ja geglaubt, dass Jesus sehr bald nach seiner Auferstehung zurückkommen würde auf die Erde und Gottes Reich für alle sichtbar würde. Allerhöchstens eine Generation lang könnte das noch dauern. Da geht Unterwegs-Sein mit Jesu Radikalität im Hier und Jetzt. Da ist jede Zukunftsvorsorge überflüssig.
So hat auch Paulus geglaubt und gelebt. Er ist Jesu Weisung an die Jünger weitgehend gefolgt und hat Hunderte von Kilometern zurückgelegt, ist bei vielen Menschen eingekehrt, hat gepredigt und vermutlich manchmal auch den Staub von den Füßen geschüttelt.
Aber schon bald, 30, 40 Jahre nach Jesu Auferstehung standen die christlichen Gemeinden vor der Frage: Wie können, wie sollen wir jetzt mit Jesus unterwegs sein, wo unsere Gemeinschaft die Ebene des Alltags erreicht hat? Wo wir erkennen: Es gibt noch eine Zukunft hier auf der Erde, in unseren Familien und Gemeinden.

Dass sich das Unterwegs-Sein mit Jesus auch in neutestamentlicher Zeit schon verändert hat, weg vom kargen Leben als Wanderprediger hin zum Christsein in der Sesshaftigkeit, schimmert in manchen Evangelientexten schon durch. Z.B. in dem, was wir eben als Schriftlesung gehört haben. Da heißt es, dass der Zöllner Levi von seiner Zollstation aufstand und Jesus nachfolgte und viele gemeinsam mit Jesus bei ihm zu Hause zum Essen waren. Er folgte Jesus nach, er war mit ihm unterwegs und er wohnte weiterhin daheim.

Das ist doch eher unsere Situation heute, auch die Situation unserer Gemeinden: Wir haben feste Häuser, Wohnhäuser, Gemeindehäuser und Kirchen und versuchen auf je eigene unterschiedliche Weise, mit Jesus unterwegs zu sein.
Und doch, so meine ich, geben die Worte Jesu an seine Wanderprediger-Jünger auch an uns noch Hinweise, wie das Unterwegs-Sein mit ihm auch in der Sesshaftigkeit ihm eher entspricht:

  • Ich glaube, in Bescheidenheit mit Jesus unterwegs zu sein, entspricht ihm mehr, als sich an sichtbaren oder verdeckten Reichtum zu klammern.
  • In den Häusern aufnehmen oder aufgenommen werden, auch wenn man sich erst vor kurzem kennengelernt hat, war über viele Jahrhunderte auch ein Kennzeichen der christlichen Gemeinden. Ich meine, da haben wir in unseren deutschen Gemeinden noch viel Nachholbedarf.
  • Überhaupt denke ich: Mit Jesus unterwegs sein geht nur, wenn man auf andere Menschen zugeht: Auf welche, die man schon kennt, auf welche, die neu sind in der Klasse, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde. Und auf Menschen, die darauf angewiesen sind, einen anderen Menschen zur Seite zu haben.
  • Um auf andere Menschen zuzugehen, braucht es Mut, besonders, wenn das Verhalten des Gegenübers anders ist, als ich das gewohnt bin. Markus überliefert, dass die ersten Jünger Jesu auch Dämonen austrieben. Darüber gäbe es in unserer Zeit viel zu sagen. Darüber, dass auch heute Menschen besetzt sind von Ängsten und von Dingen und Erfahrungen, die sie innerlich gefangen halten. Ja, dafür gibt es heute Spezialistinnen und Spezialisten. Und doch meine ich, wer mit Jesus unterwegs ist, bekommt Mut, auch Beängstigendem, Dämonischem zu begegnen.

So heißt es im Markusevangelium: Und die Jünger zogen los. Wir auch? Christus braucht unsere Füße und Hände. Er gibt uns Anteil an seiner Vollmacht, wenn wir uns aufmachen zu Kranken, zu Veränderungs-Bedürftigen, zu Fremden und zu Traurigen. Und ich vertraue fest darauf: Dann ist er mit uns unterwegs. Amen.

Lied nach der Predigt nach der Melodie „Christus, der ist mein Leben“ (EG 516)

1.Christus braucht unsre Füße, will er zu denen gehn,
die abseits und im Dunkel der Weltgeschichte stehn.
2. Christus braucht unsre Hände, wie sollte sonst sein Wort
zur Tat der Liebe werden an nah- und fernem Ort?

Gebet
Gott, auf vielen unterschiedlichen Wegen sind Menschen unterwegs,
freiwillig oder gezwungen, ängstlich der vertrauensvoll,
im Glauben an Jesus Christus tief verwurzelt oder eher zweifelnd,
in vertrauter Umgebung oder in der Fremde.
Wir bitten dich: Sei denen zur Seite, die ihre Heimat verlassen mussten.
Tröste alle, die es schwer haben, und eröffne ihnen neue Lebensperspektiven.
Sei bei denen, die krank sind an Leib oder Seele, und bei den Sterbenskranken.
Sende ihnen Menschen, die da sind und helfen, wo nötig und möglich.
Wende die Herzen der Mächtigen dieser Welt zu dir hin,
dass sie alles tun, um Frieden zu erhalten oder zu schaffen.
Erfülle die Menschen deiner Kirche überall auf der Welt mit deinem Geist, dass sie ernsthaft versuchen, Jesus nachzufolgen, aus Irrwegen umzukehren und für andere da zu sein.
Jesus ist mit uns unterwegs. Hilf uns, dem mit unserem Leben zu entsprechen.
Gemeinsam beten wir Vaterunser